¡ Que se vayan todos !

26.04.2003

Alle (Politiker, Funktionäre, etc.) sollen abhauen. So lautet die Parole des seit mehr als einem Jahr anhaltenden Aufstandes in Argentinien, denn all' die Bürokraten und Direktoren sind die Apparatschiks des Systems, welches sich nur durch Rationalisierung und Krieg, d.h. durch Menschenverachtung und Unmündigkeit, konservieren lässt. Der Zusammenbruch der Wirtschaft dieses sogenannten Schwellenlandes macht deutlich, dass die immerwährende kapitalistische Krise nun auch vor den Vorzeigeselbstausbeutern und damit Hoffnungsträgern der nachholenden Entwicklung nicht halt macht. Nachdem schon lange kein denkender Mensch mehr an das wirtschaftliche Wachstum der Länder der \"Dritten Welt\" glaubt, vegetiert somit folgerichtig der größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb der kapitalistischen Verwertung vor sich hin. Nun hat die Krise der vergangenen Jahre aber in erster Linie die Staaten betroffen, die als \"Schwellenländer\" vorgeblich vor dem Anschluss in die vordere Garde der Industrienationen standen. Argentinien, Indonesien und die Türkei sind nur drei Beispiele für eine ganze Reihe von Ländern, deren Ökonomien zusammengebrochen sind. Ebendort steigt gleichzeitig die Zahl der nationalistischen und religiösen Fundamentalisten genauso in die Höhe wie die stacheldrahtgesäumten Mauern, die die Villenburgen der Oligarchen vor der Masse der Nutzlosen schützen sollen. In Sorge um das Weiterbestehen des kapitalistischen Welttheaters (das leider nur Tragödien aufführt) und in Angst um die Liquidität der Absatzmärkte der führenden Industrienationen, gewähren die dem gesamtkapitalistischen Interesse verpflichteten Institutionen IWF und Weltbank Kredite, die selbstverständlich an Bedingungen gekoppelt sind. Diese verlangen, Staat und Produktion durch Rationalisierung rentabel zu machen und so den realexistierenden Kapitalismus in voller Blüte zu entfalten.

Nichtsdestotrotz hat die Krise nun auch die Metropolen erreicht: Die USA etwa sind so hoch verschuldet, dass im Vergleich dazu die DDR in ihrer Endphase geradezu als wirtschaftliche Supermacht erscheinen könnte. Nur die militärische Macht der Vereinigten Staaten garantiert noch die Zahlungsfähigkeit.

Als exportabhängige und auf konsumwillige Bürger angewiesene Nation bleibt auch Deutschland von der auseinanderbrechenden Entwicklung des Kapitalismus nicht verschont. Nur wird die Lage aufgrund des spezifischen Charakters der deutschen Gesellschaft besonders prekär und damit, wie hier üblich, für alles \"nicht-deutsche\" gefährlich: Die deutsche Gesellschaft ist keine klassisch kapitalistische mit den offenen Gegenspielern Arbeit und Kapital, sondern es herrscht seit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung eine Art dauerhafter Burgfriede. Arbeit und Kapital werden mit dem Band \"Staat\" bzw. \"Nation\" fest verschnürt. Der eigentlich unüberbrückbare Interessenskonflikt wird an die höhere Autorität, das Allgemeinwohl, hier repräsentiert durch den Staat, delegiert und aufgelöst. Dieser ist wiederum allgegenwärtig: Er schützt die Unternehmer im Ausland (als Deutschland-AG tritt die deutsche Wirtschaft im Ausland geschlossen und untereinander loyal auf) wie im Inland (der Staat gibt Kredite und bewahrt die Wirtschaft durch die Verfasstheit des Tarifsystems vor ungelegenen und zu freiheitlichen Ansprüchen der Arbeiter). Auch die Beschäftigten werden versorgt: So ist Deutschland gegen jeden Zuzug hermetisch abgeriegelt; die Ausbeutung der 240.000 osteuropäischen Saisonarbeiter ist durch eine eigene Behörde, die Zentrale Arbeitsvermittlung (ZAV) so verwaltet, dass eine eventuelle Integration oder Migration der Arbeitsuchenden von vornherein ausgeschlossen wird und die Ausgebeuteten nach dem Verkauf ihrer Arbeitskraft staatlich kontrolliert wieder außer Landes gekarrt werden.Den Gewerkschaften kommt die Funktion zu, jeden Widerstand autoritär zu verwalten und in systemkonforme Bahnen zu lenken. Um im Kapitalismus aufblühen zu können, stimmten die Arbeitervertretungen dem Kuhhandel \"Freizeit für Freiheit\" zu: So sind die Gewerkschaften durch das Tarifsystem vollends entmündigt (politische Streiks sind verboten). Die einzigen Forderungen, die sie stellen dürfen, lauten: \"Mehr Lohn und weniger Arbeitszeit\". Nichts davon kratzt auch nur im Entferntesten an dem unfassbaren Zustand von Ausbeutung und Beherrschung.

Ganz im Gegenteil, die Tarifkonflikte werden immer im Bezug auf das Wohl der sogenannten Allgemeinheit entschieden. Was als \"Rheinischer Kapitalismus\", Korporatismus oder \"Formierte Gesellschaft\" bezeichnet wird, hat einer der Erneuerer dieses Systems, Ludwig Erhard, mit seinen Think Tanks so formuliert: \"Wir brauchen die verpflichtende Hingabe an das Staatsganze\" oder \"Das Sozialsystem der Formierten Gesellschaft ist nur zu schaffen, wenn der labile Status Quo durchorganisiert und rationalisiert wird, wobei seine Teilhaber des Egoismus zu entwöhnen und einer starken Disziplinierung zu unterwerfen sind.\" Jeder rackert sich im Zweifelsfall für das abstrakte Ziel des Gemeinwohls ab und die staatliche Autorität mit ihren Regeln und Gesetzen werden die höchste nur denkbare Instanz. Im Gegenzug wird man vor dem Fremden & Anderen und in Notlagen vor der Armut geschützt und es etabliert sich von Seiten der Bürger ein masochistisch/devotes und autoritätsabhängiges Zwangsverhältnis zum Staat. Folge einer solchen Gesellschaft ist eine hinterfotzige Denunziationslüsternheit (\"Mein Nachbar kassiert Sozikohle und arbeitet dazu noch schwarz!\") und eine widerliche Staatsstreberei (\"Die Ampel ist rot!\"), gepaart mit einem verlogenen, vor sich hergetragenen und selbstgerechten Gutmenschentum (\"Bei uns in Deutschland kann man gar nicht verhungern.\").

Neben der Heranzüchtung ganzer Generationen autoritärer und nach Führung gierender Charaktere, ist das gefährliche an dieser Gesellschaft aber, dass sie auf wirtschaftliches Wachstum angewiesen ist. Es muss immer etwas da sein, was den Arbeitnehmern als Abfertigungs- und Sättigungsbrocken hingeworfen werden kann. Die Untertanen verlieren die seit jeher vom Staat garantierte soziale Sicherheit oder erleben ihr Wegbrechen bei anderen. Um das auseinanderfallende Sozialgefüge zu verkraften, wird auf den verinnerlichten Bezugspunkt, die Identität, die Arbeit und Kapital eint, gepocht. Gefunden wird die scheinbar gemeinsame kulturelle Abstammung, d. h. letztendlich nichts anderes als die gemeinsame \"Rasse\". So entpuppt sich die Sozialpartnerschaft als nur notgedrungen \"entnazifizierte\" Form der Volksgemeinschaft in der postfaschistischen Gesellschaft. In Deutschland, wo der Staat sich offiziell nicht für die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen Herrschenden und Ausgebeuteten einsetzt, sondern für das moralische Allgemeinwohl, dort wird in Krisenzeiten dann auch nicht ordinärkapitalistisch um neue Märkte, sondern für die Moral gekämpft, d.h. gegen all die, die ums Verrecken nicht zur deutschen Allgemeinheit gelten dürfen. Der Schritt zur Verfolgung innerer Feinde und Volkszersetzern wie Juden, Roma und Sinti, Querdenkern, Obdachlosen und allem, was als irgend anders halluziniert wird, ist ein kleiner.

Nun hat die Technologisierung die Arbeiter anstatt der Arbeit überflüssig gemacht, was in Deutschland durch die real 7,2 Mio Arbeitslosen seinen Niederschlag findet. Keine Regierung könnte die Zahl vermindern, wollte sie nicht über Staatsintervention nach NS-Vorbild für einen neuen Weltkrieg rüsten. Stattdessen wird versucht, die Arbeitslosen zu disziplinieren, indem immer weiter soziale Leistungen abgebaut werden. Zweck des Ganzen ist die Modernisierung des korporatistischen \"Modells Deutschlands\", um jenes so lange über die Runden zu bringen, bis die schon akribisch geplante, (Kosovo-Afghanistan-Irak) räuberische Expansion mit Europa im Gepäck auch militärisch und diplomatisch endlich machbar ist. Diverse Kommissionen wie Hartz oder Rürup arbeiten daran, den Staat des \"welfare\" (Wohlfahrtsstaat) in einen des \"workfare\" umzuwandeln. Nur wer arbeitet, soll auch essen. Dabei handelt es sich nicht nur um pure Zwangsarbeit, die den Reichtum der Ausbeuter mehren soll, sondern zumeist um eine stupide Zwangsbeschäftigung, in der die Erpressten ihre kostbare Zeit mit stumpfsinnigem Grashalmspitzenschneiden verschwenden müssen. Man sieht, dass hier nur Arbeit um ihrer selbst Willen getätigt wird. Nach der Maxime \"Arbeit schafft Wert, also ist nur der etwas wert, der arbeitet\" erweist sich die Plackerei für den kapitalistischen Denker als unabdingbares Moment einer jeden normalen Existenz. Die Finanznot des Staates wird vom Bund an die Länder und Kommunen nach unten weitergegeben, so dass viele deutsche Städte eigentlich Konkurs anmelden müssten. Auf allen Ebenen werden ständig neue Sparpakete geschnürt, die in erster Linie immer die sozial Schwachen und andere Randgruppen treffen. Ebenso könnte der Papst die Slumbewohner zur Askese auffordern, damit diese wirklich selig würden. Demnach sehen die Pläne des Freiburger Bürgermeisteramtes Einschnitte beim Arbeitslosenpass, bei der Straßenbahnermäßigung für Einkommensschwache, für die Geschäftsstelle der Sinti und Roma, bei Kinderstätten in Problemvierteln und vieles mehr vor.

Die Krise ist im Kapitalismus Normalzustand. Alle Zeiten, in denen das System angeblich funktionierte, waren Aufräum- und Aufbauperioden nach imperialistischen Raubzügen, makroökonomischer überproduktionsvernichtung in Form von Kriegen oder der eben deutschen Krisenlösungsstrategie, wie sie im Nationalsozialismus exerziert wurde. Es ist notwendig und zudem vollkommen logisch, die immer und immer wieder auseinanderdriftende Gesellschaftskonstitution nicht ebenso ständig zwanghaft in irgendwelchen Kollektiven mit irgendeiner Systematik oder Ideologie bis zur Versteinerung aneinanderketten zu wollen, sondern in der Dekonstruktion der alten auch das Hervorschimmern der wahren, freien Gesellschaft zu erkennen. Der Kommunismus ist eine Ordnung, nach welcher die Erde das Gemeingut aller Menschen sein, nach welcher jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten, \"produzieren\", und jeder nach seinen Kräften genießen, \"konsumieren\", soll; die Kommunisten wollen also die ganze alte gesellschaftliche Organisation einreißen und eine völlig neue an ihre Stelle setzen. Dass dann aber, an der alten, gänzlich verfaulten Gesellschaftsordnung zu flicken und zu übertünchen, Zeitverschwendung ist, wird jeder vernünftige Mensch leicht erkennen. Wir wollen, dass die Menschen die Dinge, die sie betreffen, von Grund auf selbst bestimmen können, wie dies ansatzweise in den Nachbarschaftsversammlungen in Argentinien verwirklicht ist.

Für eine staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!\ Alle Macht den Räten!

La Banda Vaga, 2003

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