Offener Brief an die VeranstalterInnen des Ska-P Konzerts
10.12.2003
Wir dokumentieren hier einen offenen Brief an die VeranstalterInnen des Ska-P Konzerts am 13.12.2003 im E-Werk in Freiburg, der neben La Banda Vaga auch von der Antifa Freiburg, KTS, Initiative Sozialistisches Forum (ISF), einigen Redaktionsmitglieder der Stattzeitung für Südbaden und Virginia Edwards-Menz unterzeichnet wurde.
Sehr geehrte VeranstalterInnen,
laut eures Programms soll am 13.12. ein Konzert mit der spanischen Band Ska-P stattfinden. Ein Mitglied unserer Gruppe, das spanisch spricht, wies uns im Plenum auf den Text \"Intifada\" aus dem Jahr 2000 hin, der eindeutig antisemitische Denkmuster enthält. Wir möchten dem E-Werk nicht Antisemitismus unterstellen und gehen davon aus, dass ihr euch, als ihr die Gruppe eingeladen habt, über den Inhalt dieses Textes nicht klar wart. Im Anhang haben wir eine eigens vorgenommene deutsche Übersetzung beigefügt. Ein weiteres Mitglied erzählte uns von einem Festival im Frühsommer diesen Jahres in Straßburg, bei dem der Sänger der Band durch die von ihm initiierten Intifada-Sprechchöre und antiisraelische Reden unangenehm aufgefallen ist.
Besonders klar ersichtlich an diesem Text ist die Täter-Opfer-Verkehrung und der Umgang mit dem Holocaust. Gemeinsam mit der Band soll der Hörer \"aus der Geschichte lernen\". Die Opfer, also die getöteten Juden, seien zu Henkern geworden, zu \"Imperialisten\" und \"Faschisten\", denn \"alles hat sich verkehrt\", die Juden sind \"wiedereinmal ohne jede Vernunft\". Warum sind sie wiedereinmal ohne Vernunft? Weil sie in \"palästinensischen Gebieten\" siedeln? Weil sie aus Europa geflüchtet sind? Oder sind Juden generell \"ohne Vernunft\"? Die Staatsgründung Israels 1948 war eine Reaktion auf die Shoah.
Im Weiteren heißt es, dass \"aus David Goliath\" geworden sei. David waren also vor der Verkehrung die Juden, Goliath die Nazis. Wenn David zu Goliath wird, werden im logischen Umkehrschluss Juden zu Nazis. Mit der Schlussfeststellung \"Palästina leidet unter dem schlimmsten aller Kriege\", kann das nur bedeuten, dass der Holocaust relativiert wird, was in Israel/Palästina passiert, sei \"am schlimmsten\". So sind die Juden nicht zu Nazis geworden, sie sind noch schlimmer. Dem Holocaust wird hier also nur eine Alibifunktion zugeschrieben. Generell dient den Antisemiten, wie jüngst Hohmann von der CDU in seiner Rede bewies, die Verkehrung von Juden als Opfern zu Juden als Tätern als Legitimation ihrer Hetzreden.
Der Sänger behauptet, er \"verurteile lediglich Leid, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch\", kann diesen jedoch nur auf israelischer Seite feststellen. Das Leid und das Unrecht, welches den Opfern von Selbstmordattentätern widerfährt, lässt er vollkommen außer Acht - die Attentate finden sicher nicht mit \"Steinen\" statt. Die \"Intifada\" sieht er als \"Befreiung\" - von wem sich da befreit werden soll, wird im Text klar, vom \"Juden\", und so ist der Vernichtungswille klar artikuliert.
Sonderbar ist auch, dass sich der Songschreiber als Atheist beschreibt und gleichzeitig eine islamistisch dominierte Intifada unterstützt. Diese wird außerdem nicht nur von den Palästinensern getragen, sondern auch von den meisten umliegenden arabischen Ländern. Daher geht es nicht nur um Israel und Palästina, sondern um den Nahostkonflikt.
Summiert man die Adjektive, welche der Autor für Israel verwendet, ergibt sich klar das gängige antisemitische Stereotyp: der raffgierige, reiche, mächtige, global agierende Finanzjude (siehe: imperialistisch, reich, mächtig, arrogant).
Aufgrund eines solchen Textes werdet ihr sicher verstehen, dass wir von euch die sofortige Absage dieses Konzerts, sowie eine Stellungnahme fordern. Eine Abschrift dieses Briefes werden wir an die \"Badische Zeitung\" schicken.
La Banda Vaga, Antifa Freiburg, KTS, Initiative Sozialistisches Forum (ISF), einige Redaktionsmitglieder der Stattzeitung für Südbaden und Virginia Edwards-Menz
Dokumentation: Intifada von Ska-P\ \ Sechs Millionen Juden wurden grausam vernichtet,\ ein imperialistischer Massenmord, von faschistischen Armeen ausgeführt.\ Wir müssen aus der Geschichte lernen.\ Die Opfer sind zu Henkern geworden, alles hat sich verkehrt.\ Sie siedeln in palästinensischen Gebieten, wiedereinmal ohne jede Vernunft.\ \ \ Tote, Tote, in wessen Namen?\ Tote, Tote, in Jahwes Israel\ Tote, Tote, in wessen Namen?\ Tote, Tote, in Jahwes Israel\ \ \ Was würdest du tun, wenn sie dich aus deinem Haus vertrieben,\ ohne das Recht sich zu beschweren,\ auf deiner Kultur herumtrampelten, dich im Wahnsinn zurückließen, ohne jede Würde?\ Palästina leidet unter dem Reichtum Israels im Exil,\ einer arroganten und mächtigen Regierung,\ die sich auf den Krieg gegen du-weißt-schon-wen vorbereitet.\ \ \ Steine gegen Gewehre, eine neue Intifada in Transjordanien, Gaza oder Jerusalem\ \ \ Wer hätte gedacht,\ dass aus David Goliath werden könnte?\ \ \ Intifada, Befreiung!\ Versteht mich nicht falsch, ich bin Atheist, glaube an gar keinen Gott.\ Ich bewerte Menschen nicht nach Rasse, Kultur oder ihrer Scheißreligion.\ Ich verurteile lediglich Leid, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch.\ Palästina leidet unter dem schlimmsten aller Kriege, dem Reichtum Israels.
Uns ist leider ein Übersetzungsfehler unterlaufen, \"de mas terca des las guerras\" heißt nicht \"der schlimmste aller Kriege\", sondern der \"der stureste Krieg\". Der antisemitische Gehalt des Liedes bleibt allerdings gleich.
Badische Zeitung berichtete:\ Uncle Sam mit der Sense - Ska-P spielten im E-Werk
Ganz die Freiburger Linie, könnte man meinen: Da gibt eine schwer anarchistische Band ein Konzert und hat einen Song namens \"Intifada\" im Programm, der sich gegen die israelische Besatzungspolitik richtet. Der Text enthält bei aller Plakativität zur Klarstellung gleich eine Zeile, in der man sich rechtfertigt, Menschen nicht nach ihrer Religion zu beurteilen und mit Antisemitismus nichts am Hut zu haben. Und dann trifft im Vorfeld natürlich dennoch prompt ein \"Offener Brief\" linker Gruppierungen von Antifa bis KTS mit ebendiesem Vorwurf ein und fordert eine sofortige Absage des Konzertes. Darauf sind die Veranstalter des E-Werks zum Glück aus zwei Gründen nicht eingegangen: Zum einen wäre den 1000 Besuchern der ausverkauften Veranstaltung ein erstklassiger, energiegeladener Abend entgangen. Und zum anderen wäre dies nur ein weiterer trauriger Tiefpunkt einer hier zu Lande völlig verfahrenen, nur noch reflexhaft geführten Debatte gewesen. Wer selbst eine Band wie Ska-P, die Gewalt ablehnt, sofort mit Antisemitismus-Bann belegt, verharmlost dadurch letztlich die wirklich bedenklichen Fälle.
Doch zurück zur Musik: Ohne (bislang) große Medienpräsenz, aber mit schweißtreibenden Konzerten und erstklassigen Platten hat sich die Band aus Vallecas, einem durch seinen Widerstand während Francos Diktatur bekannt gewordenen Arbeiterviertel in Madrid, eine Fangemeinde erspielt, die sehr treu ist - und auffallend jung. Eigentlich nahe liegend, denn in dieser Altersgruppe hat man meist eine besondere Affinität zu kompromisslosen Parolen gegen Krieg, Todesstrafe, Fleischkonsum, Kapitalismus - und zudem die nötige Kondition, ein komplettes Ska-P-Konzert durchzustehen.
Denn im voll gepackten E-Werk wurde mit solcher Leidenschaft Pogo getanzt, auf den Händen der Konzertbesucher durch die Menge gesurft und die Faust in den Himmel gereckt, dass die Luft teils zu dick zum Atmen war. Weiter aufgeheizt wurde die Stimmung durch die zahlreichen Verkleidungen von Background-Sänger Pipi, der schon mal als mit Sense bewaffneter Uncle Sam auf Stelzen über die Bühne stolzierte. Subtilität, man merkt es langsam, ist zumindest in den Aussagen die Sache der Band nicht. Musikalisch sieht es da schon anders aus: Während für die nicht ganz so knochenharten Ska-Fans die meisten Genrevertreter auf Dauer arg gleichförmig klingen, mischen Ska-P die charakteristischen Bläsersätze mit Rock, Folk, Punk - und unglaublich guten Melodien. Da mag man ansonsten auch etwas differenziertere Standpunkte bevorzugen, für zwei Stunden wird man dennoch gerne zum kompromisslosen Anarchisten - wenn damit schon ein so hoher Spaßfaktor verbunden ist.
Stefan Rother\ Quelle: Badische Zeitung vom Mittwoch, 17. Dezember 2003
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