Arme Studis

05.06.2017

Ein Großteil der Studierenden in Deutschland gilt offiziell als arm. Mit einem durchschnittlichen Einkommen unter 900€ pro Monat ist es besonders in Freiburg nicht einfach, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das hohe Preisniveau und vor allem die immer weiter steigenden Mieten führen dazu, dass trotz Bafög und Kredit viele Studierende auf eine Nebeneinkommen angewiesen sind. Dies ist natürlich nichts Neues. Reichte früher jedoch oft noch ein gut bezahlter Semesteferienjob in der Industrie um sich das restliche Semester zu finanzieren, sind spätestens seit den 1990ern und erst recht nach der rot-grünen Agenda 2010 auch viele Studis von der Unterschichtung des deutschen Arbeitsmarktes betroffen. Im unteren Einkommenssegment stieg das Einkommen in den letzten dreißig Jahren relativ gesehen am geringsten - die Prekarisierung in diesem Bereich des Arbeitsmarktes nimmt stark zu. Das führt dazu, dass ein Großteil der Studis in schlecht bezahlten Midi-, Teilzeit- oder 450€-Jobs beschäftigt ist. Doch während Studis häufig nur ein Zubrot verdienen müssen, sind einige Lohnarbeitende auf die Einkünfte zentral angewiesen.\ Viele von den Studis sind dabei sehr flexibel: die Jobs werden häufig gewechselt, mit Spaß oder karrierebedingter Weiterbildung assoziiert und meist auch schlicht nicht als Lohnarbeit ernst genommen. Studierende sind nicht selten bereit zu ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten, die ihnen oft auch erst kurzfristig mitgeteilt werden. Betriebliche Organisation, das Einfordern von Arbeitsrechten oder gewerkschaftliche Vertretung scheinen keine gängige Praxis zu sein. Obwohl auch für geringfügige Beschäftigungen die normalen arbeitsrechtlichen Regelungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Urlaub und Kündigungsschutz gelten, scheinen viele Studierende diese nicht zu kennen. Selbst wenn diese bekannt sind, scheint das Beharren auf sie zu umständlich und letztlich auch überflüssig, da der Job einfach gewechselt werden kann. Für viele ergibt sich auch keine direkte Notwendigkeit, schließlich können sie von dem bisschen was sie haben über die Runden kommen, werden von Verwandten meist querfinanziert und sind darüber hinaus mit Studium und Selbstfindung scheinbar vollkommen ausgelastet. Was natürlich nur für die gilt, die ein dementsprechend wohlhabendes Elternhaus vorweisen können. Dies ist mit ein Grund, warum noch immer prozentual mehr als dreimal so viele Akademiker_innenkinder studieren als solche aus nichtakademischen Familien.\ Unbezahlte Überstunden machen, keine Nacht- oder Feiertagszuschläge einfordern, auch unter dem Mindestlohn bezahlt werden -- Studierende scheinen fast alles mit sich machen zu lassen. Wie viele Kneipen, Restaurants, Kinos, Callcenter und Zeitarbeitsfirmen sind über ihre Studis glücklich -- denn nur selten machen sie den Mund auf. Dazu kommt, dass es meist zu keiner Verbindung zwischen den Festangestellten und den Studijobber_innen kommt. Leider nicht selten auch deshalb, da sich diese für etwas Besseres halten. Diese Jobs sind nur Intermezzi, kurze Zwischenstationen auf der vermeintlichen Leiter nach „oben". Dabei wird zweierlei vergessen: Erstens, dass sie einfach mehr Freizeit für sich hätten, wenn sie für ihre Arbeitsbedingungen kämpfen würden; und zweitens, dass sie durch ihre Passivität den nicht-studentischen Mitarbeiter_innen schaden. Studierende arbeiten zunehmend in Jobs, die ehemals Ausbildungsberufe darstellten, konkurrieren somit mit Arbeiter_innen im Niedriglohnsektor, die keine andere Wahl haben, als ihre Jobs als existenzielle Lohnarbeit wahrzunehmen. Nicht selten kommt es vor, dass dann Mitarbeiter_innen, die sich gegen ihre Arbeitsbedingungen wehren, einfach durch studentische Aushilfskräfte ersetzt werden. Studis treiben nicht nur die Gentrifizierung voran, sondern sie sind auch als Arbeitskräfte billiger, wehren sich nicht und sind beteiligt an der weiteren Prekarisierung der Lohnabhängigen in bestimmten Branchen.

Deshalb ist es an der Zeit, auch den Studijob als Ort gesellschaftlicher Kämpfe zu begreifen. Denn die Arbeitsverhältnisse in der Kneipe, im Restaurant oder Kino sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind immer Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen Lohnabhängigen und ihren Chefs. Wenn ihr das Gespräch mit euren Arbeitskolleg_innen sucht, über gemeinsame Probleme redet und euch dann zusammen organisiert, ist schon der erste Schritt für die Lohnerhöhung, bezahlten Urlaub oder bessere Arbeitszeiten getan. Streiken auch nur wenige studentische Aushilfskräfte in der Kneipe, dann wird die Kneipe wohl auch zu bleiben.

(veröffentlicht im Studierendenmagazin berta*, #868, Mai 2017)

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