Beten für offene Grenzen

10.04.2018

Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe #88 der Zeitschrift der Anarchistischen Föderation »Gǎi Dào« (April 2018)

Im Oktober 2017 versammelten sich Polinnen und Polen an Grenzposten des Landes, um für die nationale Sicherheit Polens und gegen Zuwanderung zu beten. Einen Tag zuvor einigten sich CDU und CSU auf eine nicht-Obergrenze-genannte Zuwanderungs-Obergrenze von höchstens 200.000 Asylsuchenden pro Jahr und klopften sich gegenseitig auf die Schulter, um sich ihrer ach so humanistischen Einwanderungspolitik zu versichern. Derweil schreien Kritiker_innen dieser Parteienlinie nach noch weniger Einwanderung, um die Lücke zum rechten Rand zu schließen. Zurzeit werden kaum noch deutsche Polizist_innen für die Abschiebeaufsicht nach Afghanistan eingesetzt, weil das Land für sie zu gefährlich sei – von einem Abschiebestopp will die Bundesregierung aber nichts hören.

Kaum ein Thema bestimmt die politische Öffentlichkeit gerade mehr als die „Zuwanderung“. Mit der Angst um die angebliche „Überfremdung“ werden europaweit Wahlen gewonnen und diese garantierte auch in Deutschland den Erfolg der ansonsten heillos zerstrittenen AfD. Längst kann es niemand mehr leugnen: Humanisten, Liberale und Linke haben verloren. Besorgnis wird mit Rassismus verwechselt, Kultur mit Nationalismus, die deutsche Sehnsucht nach einem neuen Nationalstolz kann sich endlich wieder Bahn brechen und der Sommer der Willkommenskultur ist wirklich überwunden. Seit dem „langen Sommer der Migration“ sind nunmehr zwei Jahre ins Land gegangen, die vor allem Verschärfungen des Asylrechts, verstärkte Grenzkontrollen und tausendfachen Tod im Mittelmeer mit sich gebracht haben. Die Phase der Selbstermächtigung der Geflüchteten, die sich selbstbewusst einen Weg nach Europa bahnten, ist vorbei. Auch die CDU, die sich überraschend als Schwertträgerin der „Willkommenskultur“ hervorgetan hat, ist schon lange umgekippt und versucht nun „Merkels Alleingang“ reuig als politischen Kapitalfehler einer gerührten Kanzlerin zu verbrämen. Seit nach den sexistischen Übergriffen der „Kölner Silvesternacht“ rassistische Kontrollen unter dem Deckmantel von Sicherheitsmaßnahmen selbst an den bürgerlichen Minimalstandards kratzen, erfreut sich die neue Rechte einer erstaunlichen Salonfähigkeit und wurde in vielen Ländern zur ernstzunehmenden politischen Kraft oder konnte ihre sowieso schon starke Position noch verbessern.

Heute wird viel von „Überlastung“ und „Überforderung“ gesprochen. An die Stelle des Asylrechts ist „Gastrecht“ getreten, das nur noch selten Menschen zuteilwird. Im Gegenteil reformiert sich das nordafrikanische Grenzregime, das mit dem arabischen Frühling schwächelte, unter den EU-Geldern zu neuer Stärke kam und immer mehr Menschen in libyschen Auffanglagern dingfest machen kann, bevor diese die Möglichkeit einer Flucht über das Mittelmeer überhaupt erst haben. Das Kronjuwel des neuen Deals wurde auf der Pariser Flüchtlingskonferenz im September 2017 beschlossen: EU-Länderchef_innen tun sich mit nordafrikanischen Firmen, Armeen und Regimen zusammen um einen Grenzkorridor quer durch Afrika zu ziehen. Ob nun mit Stacheldraht oder bewaffneten Patrouillen sieht der Plan eine Grenzbefestigung vor, die länger sein wird als die berühmte Chinesische Mauer und allein dem Zweck dienen soll Migrant_innen schon vor dem Mittelmeer abzufangen. Dafür bekommen die beteiligten Regierungen Afrikas nicht nur großzügige finanzielle Mittel, sondern auch Verträge mit europäischen Rüstungs- und Sicherheitsfirmen. Seit Jahren schon verweisen Statistiken auf den zunehmenden Trend: gestorben wird bereits in Nordafrika, nicht erst im Mittelmeer. Immer wieder wird die bessere Grenzsicherung behauptet und von der Effektivität des neuen Grenzregimes berichtet, sodass Grenzübertritte als ein staatliches Versagen scheinen müssen, als ein Eindringen eines fremden und illegalen Elements in eine bekannte und angeblich bedrohte Ordnung. Dabei ist die Menschheit so mobil wie nie. Allgegenwärtige Migration ist eine Tatsache. Laut UNHCR halten sich Jahr für Jahr mehr Menschen außerhalb des Landes auf, in welchem sie als Staatsangehörige registriert sind. Konkret wurden im Jahr 2015 über 25 Millionen Menschen als Immigrant_innen gezählt. Anders als die wahrgenommenen „Wellen“ und „Ströme“ suggerieren, bewegt sich dabei die Anzahl der Geflüchteten bei nur ca. 6,5%. Migration ist ein tatsächlicher, numerisch feststellbarer Trend, der sich durch alle Klassen und Schichten zieht. Das ist vor allem Folge einer kapitalistischen Weltordnung, von der insbesondere der politische Norden profitiert. Die wachsende Zusammenarbeit des Kapitals hat dazu geführt, dass die Welt insgesamt interdependenter wird. Noch bis vor wenigen Jahren prophezeiten daher einige soziologische Vordenker_innen der herrschenden Klasse, wie etwa Ulrich Beck, den nahenden Tod des Phänomens „Nationalstaat“ und den Zerfall der entsprechenden Grenzen. Statt eines Zerfalls der Staaten müssen wir aber in den letzten Monaten ein zunehmendes Erstarken nationaler Tendenzen und protektionistischer Maßnahmen beobachten. Zuletzt schwächelt sogar die Vision eines unter dem Schengen-Vertrag geeinten Europas unter der Wiedereinsetzung von Grenzkontrollen an zahlreichen Binnengrenzen. Der Widerspruch zwischen globalisierter Welt und umgrenzten Nationalstaaten wird spätestens seit dem Brexit oder der mexikanisch-US-amerikanischen Grenzpolitik international augenfällig und auch Ökonom_innen greifen alarmiert zur Feder: In der Zeitschrift „The Economist“ wird beispielsweise konstatiert, dass die geschlossenen Grenzen einen Ertragsausfall in Billionenhöhe produzieren würden, sie bremsten außerdem Entwicklungspotenziale aus und sorgten für einen ineffektiven Arbeitsmarkt. Daher werden von neoliberaler Seite „offene Grenzen“ als Vollendung des internationalen Kapitalismus verlangt.

Manuel Castells schrieb 2001 in seinen Thesen zur Netzwerkgesellschaft, dass sich mit der zunehmenden Vernetzung der Welt die Grenzen zu semi-permeablen Membranen wandeln würden, dass die Internationalisierung vor allem eine mobile Oberschicht produziere – und eine immobile Schicht überflüssiger Arbeitskräfte. Grenzen wirken dann als sichernde Abwehr gegen diese Überflüssigen, während sie für diejenigen mit den richtigen Papieren lediglich als Stempel in Reisepässen auftauchen. Weil aber ständig entweder von offenen oder von geschlossenen Grenzen gefaselt wird, bleibt die Diskussion um Nationalstaatlichkeit und Grenzpolitik so absurd, weist aber gleichermaßen auf einen Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt hin: die Grenzen sind sperrangelweit offen für Kapital, Güter und Menschen mit dem richtigen Pass, sollen aber geschlossen bleiben für ein zunehmend größeres Heer an sogenannten „Überflüssigen“, dem Surplus-Proletariat. Doch sie schaffen es zu hunderten tagtäglich diese Grenzen zu überwinden. Betrachtet man die Flüchtlingslager in Melilla und Calais zeigt sich, wie widersprüchlich die gesamte Situation ist. Dort finden sich genau diejenigen Menschen, welche ein lebendiges und erfolgreiches Exempel für die Unmöglichkeit geschlossener Grenzen liefern und die zugleich aufgrund der geschlossenen Grenzen Getriebene sind, in bitterlicher Armut leben und oft nur noch hoffen können.

Die überflüssigen Arbeitskräfte bleiben nicht immobil, auch wenn der Grenzübertritt für sie ein hohes Risiko darstellt. Gerade weil sie in Ländern wohnen, in denen kein Sozialsystem die Lohnarbeitslosigkeit auffangen würde, ist die Arbeitssuche absolute Lebensgrundlage, sodass Millionen von Menschen die immer größeren Gefahren der Migration in den reichen „Norden“ riskieren. Auswandern in der Hoffnung auf Lohnarbeitsverhältnisse, die die Sicherung der eigenen und oft auch familiären Existenz garantieren (sollen), machen dementsprechend einen Großteil heutiger Migrationsbewegungen aus. Das perfide daran ist, dass gerade diejenigen Menschen, die das Risiko der Suche eines Arbeitsplatzes in wirtschaftlichen Zentren auf sich nehmen, besonders anfällig gegenüber Ausbeutung werden: Mit der Schlechterstellung durch bürokratische Auflagen oder gar ihrer Illegalisierung wird ihre Einstellung zum „Risiko“ und die feilgebotene Arbeitskraft besonders billig. Gerade Menschen ohne jeglichen Aufenthaltsstatus werden in westlichen Ländern zunehmend Objekte einer massiven Ausbeutung und fortschreitenden Unterschichtung. In Deutschland und verstärkt im südlichen Europa, aber auch in Indien, USA und anderen Ländern, werden „undokumentierte Einwanderer“ immer häufiger in sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet. Furore machte in Italien der Tod Abdulla Mohammeds, der sich im Juli dieses Jahr bei der Gemüseernte buchstäblich zu Tode gearbeitet hat. Nicht nur als Erntehelfer_innen, sondern zunehmend auch in der Baubranche, in der Gastronomie und der Haushaltshilfe werden Sans-Papiers eingesetzt. Was in Mitteleuropa noch in den Anfängen ist, kann beispielsweise in den USA längst als Normalität bezeichnet werden. Hier stehen die zurzeit ca. 11,7 Millionen „Illegalen“ zu 87% in Lohn und Brot und drücken vielerorts die auf Baustellen gezahlten Löhne. Die Unterschichtung sägt damit an den Stühlen der ungelernten einheimischen Arbeiter_innen, die oftmals durch ihre Staatsbürger_innenschaft vor solchen Ausbeutungsverhältnissen geschützt werden.

Die Konkurrenzverhältnisse der Märkte, der Druck der Kapitalverwertung macht das Einstellen von billigen Überflüssigen zur Notwendigkeit. Je schwerer die Grenzen des Landes gesichert sind und je strenger die Asyl- und Arbeitsrechtsgesetze, desto verzweifelter und leichter auszubeuten sind die Migrant_innen. Manchmal wird diese Art von Migration als „Arbeitsmigration“ bezeichnet und klar von der „Fluchtmigration“ unterschieden. Diese Klassifizierung lassen Migration und Integration entweder als Akt der Gnade durch die Aufnahmestaaten oder gar als nutznießerischen Akt durch Migrant_innen erscheinen – niemals jedoch als deren Recht oder völlige Normalität. Das darf auch nicht sein, würden sich damit umgekehrt bürgerliches Recht und humanistische Moral doch als das entlarven, was sie sind: Recht auf Eigentum und Verschleierung des einzigen Wertes, den ein Mensch im Kapitalismus haben kann – des Tauschwertes. Die hohle Phrase, die Würde des Menschen sei unantastbar, mit der sich die bürgerliche Gesellschaft schmückt, erhält nur dann Relevanz, wenn es gerade dem machtpolitischen Kalkül dünkt. Die europäische Gemeinschaft – Ort der 1789 proklamierten, aber letztlich restlos gescheiterten Emanzipation der Menschheit – zeigt dort ihr wahres Gesicht, wo ihre Grenzen der Solidarität längst durch drei Reihen Nato-Stacheldraht zerfetzt wurden, um sie sich selbst vor den Resultaten der „Befreiung“ der Märkte des Südens zu schützen.

Niemals würde jemand darauf kommen einfach von „Einwanderung“ als Anspruch auf persönliche Lebensgestaltung zu sprechen – das bleibt der verwertenden Oberschicht (möglichst weiß!) vorbehalten. Und die, die am lautesten eine „Kultur des Abendlandes“ als eine aufgeklärte Kultur der Menschenrechte verteidigen, zeigen sich am schnellsten bereit, eben jene Rechte an Hautfarbe und Geburtsort zu binden. Darin liegt im eigentlichen Sinne kein Widerspruch, sondern es zeigt sich nur der verlogene Charakter der blutigen Vernunft bürgerlicher Aufklärung. Diejenigen, welche es nach wahnsinnigen Strapazen nach Europa geschafft haben, müssen sich, oft illegalisiert, in besonders beschissenen Ausbeutungsverhältnissen verdingen. Dies führt zu einer immer wiederkehrenden Unterschichtung des Arbeitsmarktes. Nicht ohne Grund propagierten Teile des Kapitals in der „Flüchtlingsdebatte“ eine liberale, „emanzipatorische“ Migrationspolitik, um sich damit ein wohlfeiles Arbeitskräftereservoir sichern zu können. Schon heute sind in Spanien, Italien und Griechenland billige migrantische Arbeitskräfte in manchen Branchen, wie der Landwirtschaft, nicht mehr wegzudenken. Auch in Deutschland ist nicht nur der medial präsente „Spargelstecher“ und das Baugewerbe, sondern auch große Teile der privaten Pflege fast ausschließlich migrantisch geprägt. Migrantische Arbeitskräfte allgemein und Geflüchtete im Besonderen machen die Arbeiten, die kein_e „Einheimische_r“ mehr machen will, – zumindest nicht zu den gezahlten Löhnen. Das könnte erklären, warum das dumpfe „Die Ausländer nehmen unsere Arbeitsplätze weg“ zumindest in Deutschland immer seltener zu hören ist. Anscheinend greifen eher Mechanismen des Neids auf die (imaginierten) Sozialleistungen für Geflüchtete als Folge weit verbreiteter Abstiegsängste. In seiner Studie „Abstiegsgesellschaft“ zeigt Oliver Nachtwey, dass der/die typische AfD-Wähler_in nicht nur im Prekariat zu finden ist, sondern vor allem in dem sowieso faschistisch-affinen Kleinbürgertum, das sich mehr Zuwendung und Schutz durch den Staat wünscht und sich von den „Ausländern“ übervorteilt fühlt. Dies passt zur Studie von Branko Milanovic über „Die ungleiche Welt“, in der er den Abstieg der Mittelklasse in den kapitalistischen Zentren diagnostiziert.

Wo die Konkurrenz bei der Jobsuche, der Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsamt durch Migration wächst, dort gärt in einer rassistischen Gesellschaft der soziale Konflikt. Das rassistische Ressentiment lässt die Arbeitssuchenden als Eindringlinge erscheinen, die Schuld an dieser oder jenern Situation tragen. Wären die Grenzen dicht, wäre das Problem behoben – so die scheinbar einfache Lösung der Rechtspopulist_innen. Die Grenzen können aber (noch) nicht völlig geschlossen sein und der Überlebenswille und Wunsch nach Aufstieg treibt viele Menschen aus den Peripherien in die westlichen Zentren. Die geschlossenen Grenzen aber würden den sozialen Frieden wieder herstellenwiederherstellen, der durch genau diese Entwicklungen der Internationalisierung gefährdet scheint. Denn indem die Grenzen geschlossen bleiben (oder zumindest der populäre Diskurs dies behauptet) und der Durchschnittsbürger seine blonden Töchter in Sicherheit wähnt, bleibt sein Arbeitsplatz gesichert, die Wohnungssuche eine reine Formalität, die Sozialleistungen ausreichend und die Konkurrenz erst einmal wo der Pfeffer wächst (wörtlich). So Dannkann könne der Staat, so die regressive Hoffnung, sich „um seine eigenen Schäfchen“ kümmern.

Hass und Angst der „Einheimischen“ wird auf lenkt sich auf Eingewanderte gelenkt, anstatt auf systemische Ursachen. Statt als Konsequenz einer imperialistischen kapitalistischen Weltordnung wird Immigration in die westliche Welt als ein Eindringen empfunden, das den sozialen Frieden ins Wanken bringtbrächte. Oder Migrant_innen werden nur dann werden zu Flüchtlingen, die wenn ihre Schutzbedürftigkeit durch die vorgeblich neutralen staatlichen Institutionen notariell anerkannt wurdewirklich notariell und von einer „neutralen Instanz“ bewiesenermaßen schutzbedürftig sind und das bedeutet für diese zugleich, sich . Diese Schutzbedürftigen werden dann künstlich zu Sozialfällen herabsetzen zu lassengemacht, indem ihnendenen Arbeitsverbote auferlegt und sie die isoliert von der „Normalbevölkerung“ in Lagern isoliert von der „Normalbevölkerung“ untergebracht werden können. Was aus dieser Thematisierung folgenschwer erwächst, ist die Figur des/der Migranten_in als Gnadenfigur, als Hilfsbedürftige_r, dessen/deren Aufnahme eine Opferbereitschaft des Staats und der Gesellschaft erfordert und dessen/deren Selbstbestimmung damit auf ein Minimum reduziert werden kann:; er/sie muss ja dankbar sein. Jedes (gefühlte) Fehl- oder gar Konkurrenzverhalten (Eintritt in den Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Kinobesuch o.ä.) gegenüber den Gastgeber_innen wird damit zur Undankbarkeit interpretierbar. So entsteht eine Klasse der (politisch, sozial und ökonomisch) Recht- und Stimmlosen im Herzen der „westlich-aufgeklärten Demokratien“, von deren Unterdrückung und Ausbeutung schließlich Teile des sozialen Friedens abhängen. Sich humanistischer Argumente zu bedienen heißt die Verhältnisse zu reproduzieren – auch wenn das Ziel sein mag, diese zu überwinden oder zu dekonstruieren. Die hier für den deutschsprachigen Raum kurz skizzierte „Flüchtlingsdebatte“ ist Teil eines allgemeinen Rechtsrucks und verstärkt diesen wiederum. Die Weitere Beispiele dürften sind bekannt sein: Trump, Brexit, Wahlerfolge von AfD, FPÖ, SVP, rechte Regierungen in Polen und Ungarn usw. Der Rassismus der autoritären Charaktere zeigt sich in Europa und Nordamerika so offen wie lang nicht mehr. Eine ernstzunehmende Gegenbewegung scheint sich — mit wenigen Ausnahmen wie den USA — jedoch nicht abzuzeichnen. Der Rechtsruck ist folglich aktuell das zentrale Thema der westlichen Linken, wobei für viele Antonio Gramsci favorisierter Ideengeber zu sein scheint, und mündet bei vielen ehemals Rradikalen im Aufruf, linke Parteien zu wählen um Schlimmeres zu verhindern. Der Reformismus scheint – weniger wegen Gramsci, sondern vielmehr aufgrund der scheinbar aussichtslosen Situation – fatalerweise genau im Angesicht einer erstarkenden Rechten eine neue Anziehungskraft innerhalb der radikalen Linken zu entfalten.

Jedoch muss auch in diesem Falle jeder Reformismus reine Illusion bleiben: Die Flüchtlingsfrage lässt sich nicht mit einer anderen Die Grenzpolitik oder einem Einwanderungsgesetz lösen. Die widersprüchlichen Ansprüche an Grenzen bleibt ein ungelöster Widerspruch – Offenheit für Güter und Kapital, Geschlossenheit für die Überflüssigen – und deren menschenverachtende Folgen sind keine lösbaren Probleme innerhalb des Ganzen, sondern beziehen ihre Logik aus derdem Kern der bürgerlichen Gesellschaft selbst, die der/die Reformist_in so gern bewahren möchte: dem Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital.. Der einzig real umgesetzte UniversalismusDie größte ihrer Errungenschaften, der Universalismus des Weltmarktes, einer jeden Ware ihren Tauschwert zu garantieren und sie in der globalen Warengemeinschaft gleichberechtigt anzuerkennen, wird steht schon längst im Widerspruch zur Rigidität derheutzutage von der ordinären Grenze desr Nationalstaatens herausgefordert. Andererseits zeigen sich Denn Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Hayek der bürgerlichen Gesellschaft manifestieren sich bekanntlich bekanntlich nicht nur in denin den Produktivkräften n der fortgeschrittenen Arbeitsteilung, Automatisierung und Digitalisierung, sondern zugleich in den Destruktivkräften der Enteignung, Proletarisierung und Armut. Dieser Dialektik folgend und (momentan) ohne Aussicht auf Aufhebung, schickt ein globaler Kapitalismus nicht nur Waren, sondern jagt vor allem die längst überflüssig gewordenen Arbeiter_innen bis in die letzten Winkel der Welt. Diese Überflüssigen rütteln mit aller Kraft an eben jenen Grenzen und jagen dem Kapital sowie einem Großteil ihrer Ausgebeuteten eine Heidenangst ein. Denn momentan scheint es zumindest eine zu geben, das die die Bourgeoisie mindestens so sehr fürchtet wie protektionistische Wirtschaftspolitik und das sind weitere soziale Unruhen durch den Aufstand der rechtpopulistisch angeheizten autoritären Charaktere.Mit dieser Dialektik schickt der globale Kapitalismus nicht nur die Waren um den Globus, sondern ebenso ihre Produzent_innen, aber vor allem diejenigen, die nicht einmal mehr ausgebeutet werden können. Für Fürdie Bourgeoisie die Bourgeoisie stellen sich dann deshalb die folgende Fragen: wWie geschlossen darf eine Grenze sein, damit der Schaden für das Kapital verkraftbar bleibt? Wie offen kann sie sein, damit die Sozialsysteme, der Arbeitsmarkt oder der Wohnungsmarkt nicht überfordert werden und die Menschenhatz auf Migrant_innen nicht die Kapitalakkumulation stört? Eine offene und ebenso geschlossene Grenze, die Quadratur des Kreises also, allein könnte daherkann daher allein den Anforderungen einer reibungslosen Kapitalakkumulation entsprechen. Ohne offene Grenzen kein Weltmarkt, ohne geschlossene Grenzen kein sozialer Frieden in den kapitalistischen Zentren. Gleichwohl zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der die erfolgreiche Kapitalakkumulation räumlich einem Archipel gleichkommt. Diese Inseln erfolgreich zu verteidigen wird das Schicksal der Bourgeoisie entscheiden. Dass dieser Kampf eher von Frontex bestritten wird, als durch besinnliche Gebete, ist den Herrschenden durchaus bekannt.

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