Bordercamp Strasbourg - Ein Diskussionspapier zur Antisemitismusdebatte
Am Osterwochenende, bzw. dem jüdischen Pessachfest, ging eine heftige Welle antisemitischer Anschläge um die Welt. Vor allem in Frankreich brannten etliche Synagogen und auch in Straßburg gab es einen Brandanschlag, auch wurden mehrmals jüdische Friedhöfe geschändet. Die Täter waren zumeist Jugendliche aus dem Kreis der maghrebinischen EinwandererInnen.
In den Mobilisierungstexten für das Grenzcamp, sowohl in Freiburg als auch international, wurde dieses Thema leider bisher nicht einmal erwähnt, während andererseits die Immigrantenkids äußerst einseitig als Opfer von Rassismus und Polizeiwillkür beschrieben werden [1], was natürlich auch stimmt und wogegen diese sich ja auch zu recht auflehnen. Doch wir denken, dass die Anschläge nicht von uns ignoriert werden können.
Zur Erinnerung: Mit Beginn der palestinensischen "zweiten Intifada" im Herbst 2000 begann eine weltweite Serie antisemitischer Pogrome, die ihren ersten Höhepunkt am jüdischen Feiertag Yom Kippur hatte. Auch in Raum Straßburg, wo am 13.10.2000 Molotov-Cocktails auf eine Synagoge geworfen wurden [2]. In der Zeit danach flaute es etwas ab, doch es gab immer wieder Vorfälle wie antisemitische Grafitti, Steinwürfe gegen die Synagoge in Bischheim, Verwüstung des jüdischen Friedhofs in Fegersheim, Schlägereien, Drohungen und Beleidigungen [Badische Zeitung, 30.3.2002: Aus Angst sitzt auf vielen Köpfen die Schirmmütze statt der Kippa. (hier)]. Dann kam es dieses Jahr an Ostern zum neuen Höhepunkt. Während in Marseilles die Synagoge bis auf die Grundmauern abbrannte, gab es bei einem Brandanschlag auf die Synagoge im Straßburger Stadtteil Cronenbourg zum Glück nur geringen Sachschaden. In den Tagen darauf folgte ein Brandanschlag und später (wie schon einmal im März) ein versuchter Anschlag mit einer selbstgebastelten Bombe auf den jüdischen Friedhof im Vorort Schiltigheim. Auch wurden auf dem jüdischen Friedhof in Cronenbourg Gräber mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert [3].
Es ist hoffentlich nicht notwendig, zu erklären, dass es durchaus bereits antisemitisch ist, wenn hier lebende JüdInnen für die Politik Israels (wie auch immer man diese einschätzt) verantwortlich gemacht werden, da dies nur Sinn machen würde, wenn von einer jüdischen Weltverschwörung ausgegangen wird. Der oft gehörte Hinweis, Araber könnten keine Antisemiten sein, da sie ja selbst ein "semitisches Volk" seien, macht es sich zu einfach. Ganz davon abgesehen, dass hier munter bei der Einteilung der Menschen in Völker / Ethnien / Rassen mitgemacht wird, die wir ja bekämpfen wollen, ignoriert diese Bemerkung, dass Antisemitismus nicht einfach ein gegen Juden gerichteter Rassismus ist. Schließlich gibt es massive Unterschiede zwischen dem Hass auf als minderwertig angesehene Fremde einerseits und der Angst vor dem als allmächtig angesehenen Juden andererseits, dem Hass auf diesem zugeschriebene Eigenheiten wie Kosmopolitismus, "Wucher", "Schmarotzertum", Neigung zu Verschwörung usw. Tatsächlich neigt der moderne Antisemit dazu, alle negativen Auswirkungen des Kapitalismus und alle Krisen der Macht "des Juden" zuzuschreiben.
Angesichts des militanten Antisemitismus eines Teils jener ImmigrantInnen in den Banlieus stellt sich allerdings die Frage, wie damit umgegangen wird. Auf diesen Teil der MigrantInnen können wir uns ja wohl wirklich nicht positiv beziehen. Glücklicherweise handelt es sich dabei nur um eine Minderheit, wie u.a. Aussagen aus den jüdischen und muslimischen Gemeinden nahelegen [4]. Auch verfassten rund 50 maghrebinische Intellektuelle einen Appell gegen Antisemitismus [5].
Ein Camp, das die jüngsten Anschläge ignoriert, würde hingegen sich und seinen emanzipatorischen Anspruch einigermaßen blamieren. Daher finden wir es notwendig, dass der Antisemitismus in öffentlich wahrnehmbarer Form thematisiert wird.
Es geht nicht darum, irgendwelche konstruierten Neben - oder Hauptwiedersprüche gegeneinander auszuspielen. Stattdessen wollen wir, dass die Herrschaft von Menschen über Menschen und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in ihrer Totalität in allen ihren Facetten kritisiert und hoffentlich auch irgendwann abgeschafft werden. Immerhin ist doch die Frage durchaus relevant, ob die Menschen im Falle einer Krise anfangen, JüdInnen und AusländerInnen zu jagen und nach dem starken Staat rufen, oder endlich die falschen Verhältnisse abschaffen.
In diesem Sinne:
Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!
Für freies Fluten!
La Banda Vaga, Juni 2002
Anmerkung:
Wir hatten dieses Papier ursprünglich in einer anderen Fassung veröffentlicht. Ein unglücklich formulierter und daher falschverstandener Satz und der ursprüngliche Titel, der als Ablehnung des Camps überhaupt wahrgenommen wurde, haben die Änderungen notwendig gemacht.
Notizen:
[1] Z.B. im Koraktor
[2] Siehe Hagalil
[3] Badische Zeitung, 3.4. und 15.4.2002.
[4] Badische Zeitung, 30.3. (hier) und 3.4. 2002; siehe auch: La haine des antijuifs, Jungle World Nr. 14/2002.
[5] Graswurzelrevolution 269, Mai 2002.