»Der Hauptfeind steht im eigenen Land«
»Entgegen pazifistischer Erwartungshaltung hat ein [...] Wettlauf um die künftigen Einflußbereiche im ehemaligen Osteuropa bereits eingesetzt. [...] Wobei sowohl innerhalb der EU als auch im Sinne nationalstaatlicher Politik künftig die Rolle Deutschland beachtet werden muß.«
(Hartmut Bagger, Generalinspekteur der Bundeswehr)[2]
Seit dem 24. März 1999 bombardiert die NATO unter der militärischen Führung der USA die Bundesrepublik Jugoslawien. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligen sich deutsche Soldaten militärisch an einem Krieg. Und obwohl diese Premiere ausgerechnet auf dem schon zweimal von deutschen Armeen heimgesuchten Balkan stattfindet, gibt es in Deutschland keinen relevanten Widerstand. Auf die Frage, woran das liegt, folgt meist die Antwort, mensch könne sich diesen Krieg nicht erklären und wisse folglich auch nicht, gegen wen sich der Protest richten soll.
Natürlich muß sich der Widerstand in erste Linie gegen Deutschland richten. Denn neben den historischen Gründen, die es Deutschland verbieten sollten, jemals wieder Krieg zu führen, ist Deutschland auch ein Hauptverantwortlicher dieses Krieges. Im Folgenden soll dies erläutert werden.
Wie der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Hartmut Bagger, oben schon ausgeführt hat, setzte direkt nach dem Zusammenbruch des wirtschaftlichen Systems in Osteuropas der Wettlauf um die künftigen Einflußbereiche ein. Die Taktik des größer gewordenen Deutschlands griff dabei auf schon "traditionelle deutsche" Vorgehensweisen zurück, wie die folgenden Aussagen belegen. Die erste stammt aus dem Jahr 1941 vom Leiter der Reichskanzlei Martin Bormann: "Grundsätzlich kommt es also darauf an den riesenhaften Kuchen (damit ist Osteuropa gemeint. Anmerkung La Banda Vaga) handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können." [3] Die zweite Aussage stammt aus dem Jahr 1989 vom damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Alfred Herrhausen. Dieser meint, Deutschland müsse im Hinblick auf Osteuropa "durch Regionalisierung [...] für sich die politischen »Sahne bzw. Filetstückchen« herausbrechen." [4] Das "Zerlegen" bzw. "Regionalisieren", von dem Bormann und Herrhausen sprechen, geschieht anhand einer völkischen oder neudeutsch "ethnischen" Kontinuitätslinie, die bis ins Kaiserreich zurückreicht. Dabei werden angeblich unterdrückte "Völker" oder "Volksgruppen" konstruiert, die anschließend als Manövriermasse dem Interesse der deutschen Expansion nach Osten dienen. So geschehen auch in Jugoslawien, wo Deutschland durch die einseitige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991 maßgeblich zur Zerschlagung der Bundesrepublik Jugoslawiens und zum Ausbruch des innerjugoslawischen Krieges beigetragen hat. Dass ausgerechnet Slowenien und Kroatien aus dem jugoslawischen Staat herausgebrochen und an die EU herangeführt wurden, ergibt sich aus den ökonomischen Bedingungen. Diese beiden Teilrepubliken sind nämlich die mit weiten Abstand reichsten Gebiete des ehemaligen Jugoslawiens. Im Gegensatz zu diesen, hindert in den anderen Teilrepubliken eine aus kapitalistischer Sicht rückständige Sozialstruktur die wirtschaftliche Modernisierung. Weder dem Staatskapitalismus Titos, dem Druck des IWFs, noch dem Nationalismus Milosevics ist es gelungen, diese "Rückständigkeit" zu beseitigen und Jugoslawien Wettbewerbsfähig zu machen. Vor allem in den ärmsten Regionen, im Kosovo, in Mazedonien, in Bosnien und in der Herzegowina sind z.T. noch Elemente einer bäuerlichen Subsistenzwirtschaft vorherrschend, die sich jeder kapitalistischen Modernisierung verweigern.
"Es sind die sozialen Strukturen und Werte [...] und die mit ihnen verbundenen Blockierungen nationaler und transnationaler Wertschöpfung, auf deren Zertrümmerung dieser Krieg abzielt." [5]
Dieses Zitat zielt zwar eigentlich auf den innerjugoslawischen Krieg, trifft aber auf die Bombardierungen Restjugoslawiens zu. Der Auslöser für die Angriffe dürfte dagegen eher in einer Art innerimperialistischen Konkurrenz zu finden sein. Für die USA muß es darum gehen, die Ausweitung der deutschen Einflußsphäre in Osteuropa zu begrenzen. Daneben haben die beiden Hauptakteure, Deutschland und die USA, aber auch noch andere Gründe. Die USA setzten die neue NATO Strategie durch, die in Zukunft auf störende Elemente wie Vereinte Nationen und Völkerrecht verzichten kann. Für Deutschland geht es darum, die "Last der Vergangenheit" hinter sich zu lassen und als "normale und erwachsene" Nation endlich auch ökonomische Ziele militärisch durchsetzen zu dürfen. Dabei relativieren die Kriegsminister Scharping und Fischer die Verbrechen des deutschen Faschismus, indem sie Milosevic mit Hitler gleichsetzen, und die Vertreibungen als Deportationen bezeichnen. Sorgen wir dafür, daß Deutschland keinen Schlußstrich unter seine Geschichte ziehen kann! Verhindern wir zukünftige deutsche Eroberungszüge!
Stoppt die Großmachtsphantasien Deutschlands!
Wir fordern deshalb:
Einen Stopp der Bombardierungen und Vertreibungen!
Grenzen auf für alle Flüchtling, ob aus dem Kosovo oder anderswo!
Für eine staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!
La Banda Vaga 1999
Notizen
[1] Karl Liebknecht. Gesammelte Reden und Schriften. Band 8 August 1914 bis April 1916. Berlin 1974
[2] zitiert nach Erich Reiter. Die Bedeutung Österreichs für Künftige Hegemonialbereiche. in: Europäische Sicherheit 5/96
[3] Martin Bormann zitiert nach Ernst Klee und Willi Dreßen (Hrsg.). Gott mit uns. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945. Frankfurt am Main 1989
[4] Alfred Herrenhausen zitiert nach Holger Kuhr. Rußland wird De-Industrialisiert. Hamburg 1993
[5] Die Ethnisierung des Sozialen. Die Transformation der jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Kriegs. Materialen für einen neuen Antiimperialismus Nr.6. Berlin 1993