Die Häuser denen, die sie brauchen!
Diese Parole der HausbesetzerInnenbewegung der 80er Jahre könnte auch in Freiburg wieder in Mode kommen, denn Oberbürgermeister Dieter Salomon plant aufgrund der finanziellen Situation der Stadt den Verkauf der städtischen Wohnungen an private InvestorInnen. Nun befürchten die MieterInnen dieser Wohnungen sowie die Angestellten der Stadtbau, dass neue private InvestorInnen die Mieten erhöhen, MitarbeiterInnen entlassen und Mitbestimmungsrechte abbauen könnten. Erfahrungen mit Privatisierungsprojekten in anderen Städten bestätigen diese Befürchtungen.
Verschiedene politische und soziale Organisationen wenden sich gegen den Verkauf, eine Bürgerinitiative hat sich gegründet und ein Bürgerentscheid soll eingeleitet werden. Teilweise entstehen in den Nachbarschaften basisdemokratische Prozesse, und die Menschen fangen an, sich gemeinsam mit ihren NachbarInnen gegen die unsoziale Politik zu wehren. Dieser Widerstand ist richtig und notwendig - auch und gerade in Anbetracht der Tatsache, dass es hier um den Wohnraum tausender Menschen geht.
Zum Symbol dieses Widerstands wurde eine durchgestrichene Heuschrecke gewählt. Damit wird auf eine Rede des damaligen SPD-Generalsekretärs und jetzigen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering angespielt, die dieser am 22. November 2004 hielt. In dieser von den Medien als „Kapitalismuskritik“ bezeichneten Rede warnte Müntefering, der noch kurze Zeit vorher mit den Hartz-Reformen das größte Massenverarmungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik mit durchgesetzt hatte, vor so genannten "Private Equity Unternehmen". Diese Investmentfirmen, die mit dem Geld ihrer AnlegerInnen andere Unternehmen aufkaufen und sie dann so schnell wie möglich wieder gewinnbringend verkaufen, wurden von Müntefering mit Heuschrecken verglichen. In einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ führte er im April 2005 noch einmal aus, wie er sich die kapitalistische Vergesellschaftung vorstellt: „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten, sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.“
Dieser Diskurs wurde von der IG-Metall aufgegriffen, die im Mai 2005 einen Artikel mit dem Titel „US-Firmen in Deutschland - Die Aussauger“ in ihrer Mitgliederzeitung „metall“ veröffentlichte. Als Illustration wählte die Gewerkschaft Moskitos mit Stars-and-Stripes-Zylindern, die deutsche Fabriken aussaugen und mit prall gefüllten Geldkoffern wieder nach Amerika verschwinden - ganz so, als kämen die guten KapitalistInnen alle aus Deutschland, die bösen alle aus dem Ausland. Diese Art von „Kritik“ unterscheidet also zwischen einer vermeintlich „sozialen Marktwirtschaft“ in der Bundesrepublik und einem „skrupellosen Raubtierkapitalismus“ in den USA. Im globalen Konkurrenzkampf dient sie dazu, die von Deutschland dominierte EU als angeblich soziale Alternative zu den USA darzustellen.
Aber wo ist der qualitative Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Billiglohnjobs, zwischen amerikanischer Privatisierung und deutscher Privatisierung, deutscher Demütigung von Arbeitslosen und amerikanischer? Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen der kapitalistischen Gesellschaft in den USA und der kapitalistischen Gesellschaft der Bundesrepublik. Es bestehen zwischen ihnen höchstens quantitative Unterschiede, keine Wesensunterschiede. In beiden Modellen von Kapitalismus zählt gleichermaßen der Profit, in beiden geht es gleichermaßen um Kaufen und Verkaufen, nichts anderes.
Doch nicht nur deshalb ist das Feindbild der Heuschrecken ein falsches Signal. Münterfering greift mit diesem Bild nämlich, ob bewusst oder unbewusst, eine Form von Kapitalismuskritik auf, die es bereits einmal gab. Es war der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg, der 1922 von den Juden schrieb als „Heuschreckenschwarm, der seit Jahrhunderten am Marke Europas frisst.“ Dass Müntefering und Rosenberg hier dasselbe Bild verwenden, ist kein Zufall. Denn wer wie Müntefering das Gesamtsystem Kapitalismus aufteilt in einen anonymen, menschenverachtenden und nur auf Profit orientierten Kapitalismus einerseits, und in einen sozial verantwortlichen Kapitalismus andererseits, der verwendet genau dieselbe Logik wie einst die NationalsozialistInnen, als sie zwischen unproduktivem „jüdischem“ Finanzkapital einerseits, produktivem deutschem Kapital andererseits unterschieden. Zum Kapitalismus gehört aber immer beides, und für die Menschen, die vom Kapital ausgebeutet werden, macht es keinen Unterschied, ob sie von Deutschen, Amerikanern, Juden, Christen oder Brillenträgern ausgebeutet werden.
Das Problem ist der Kapitalismus, nicht der Charakter einzelner KapitalistInnen. Der geplante Häuserverkauf in Freiburg ist nur zu verstehen als Teil der weltweiten Durchkapitalisierung aller Lebensverhältnisse - er ist kein isoliertes Phänomen und lässt sich deshalb auch nur als Teil dieses Gesamtprozesses kritisieren.
Dass überhaupt privatisiert werden „muss“, ohne dass die Menschen, die hier einfach so mitverkauft werden, nach ihrer Meinung gefragt werden, ist schon Skandal genug. Schuld an diesem Skandal sind aber keine bösen Heuschrecken, sondern ein System, in dem es sich überhaupt lohnt und in dem es überhaupt erlaubt ist, Wohnungen einfach so zu verkaufen - obwohl Menschen darin wohnen, die diese Wohnungen brauchen.
Noch ist über den Verkauf der Wohnungen nicht entschieden. Wir solidarisieren uns mit dem Kampf der Protestierenden und begrüßen ihren Versuch, selbst über ihre eigenen Lebensverhältnisse zu bestimmen.
Für die generalisierte Selbstverwaltung!
Für den Kommunismus!
Für die Anarchie!