Die kapitalistische Logik durchbrechen!
Am 1. Mai 2013 gab es in Freiburg neben dem offiziellen Rummel um den „Tag der Arbeit“ zum ersten Mal seit langem, eine sich explizit „libertär“ verstehende Demonstration der linksradikalen Subkultur. Diese Demonstration, die mindestens genauso viele Teilnehmer_innen wie die DGB-Demonstration vorweisen konnte, wurde von verschiedensten Seiten, unter anderem von der Antifaschistischen Linken Freiburg (ALFR), kritisiert. Bei aller berechtigten Kritik des Szenecharakters dieser Veranstaltung, muss man ihr aber zugutehalten, dass sie mit dem Motto „Nieder mit der Arbeit“ den Kern jeder emanzipatorischen Kapitalismuskritik getroffen hat.
Leider ist die Forderung „wenig Arbeit für alle“ bei weiten nicht so „natürlich“ wie es im Aufruf zur Libertären 1. Mai-Demonstration heißt. Gerade in der Linken ist das Arbeitsethos ein wichtiger Bestandteil der eigenen Identität. Dies gilt vor allem für Organisationen, die sich in die Tradition der klassischen Arbeiterbewegung stellen. Der DGB ist für „gute Arbeit“ immer zu haben, die Linkspartei.PDS forderte 2005 gar „Arbeit soll das Land regieren!“ und gerade die sich als revolutionär verstehenden Gruppierungen leninistischer Prägung, zeigen mit Slogans wie „Für Arbeit, Frieden - echten Sozialismus!“ (MLPD) oder „Arbeit für alle.“ (DKP) ihre Arbeitsaffinität. Aber auch innerhalb des „libertären“ Spektrums, ist bzw. war die Ablehnung der Arbeitsideologie, abseits schnell und folgenlos aufstellbarer Parolen, nicht so selbstverständlich wie oft (selbst) angenommen. Auch die historische CNT – bis heute durch den Spanischen Bürgerkrieg der Mythos der anarchistischen Bewegung – und angeblich so etwas wie der Beweis für die Umsetzbarkeit des Anarchismus, propagierte die Arbeit und zeigte sich unter dem Widerstand der Arbeiter_innen sogar gezwungen Arbeitslager einzurichten (ausführlich in „Seidman, Michael: Gegen die Arbeit.“).
Dieses Lob der Arbeit, welche (nur) in unserer jetzigen Gesellschaftsform mit Lohnarbeit gleichgesetzt werden kann, scheint paradox, da jede_r an der eigenen Realität erfahrenkann, dass er/sie sich tagtäglich gegen die Arbeit, mit Blaumachen, Pausen hinausziehen usw. wehrt, oder sich jedenfalls um jeden Tag Freizeit in Form von Wochenenden, Feiertagen und Urlaub freut. Schon Marx, der den meisten oben erwähnten Arbeitsfreunden als großes Vorbild dient, betonte: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört;“ (MEW Bd. 25, S. 828 ). Wer kennt solche Gespräche mit dem/der Kolleg _in nicht, in denen erst lange gemosert wird, wie früh man aufstehen musste und wie lange es noch zum Wochenende dauert, nur um im nächsten Satz, vor allem sich selbst, zu bestätigen, wie wichtig einem die Arbeit doch sei und dass man ohne sie ja doch nicht wüsste was man den ganzen Tag machen sollte? Das Verhältnis der Arbeiter_innen zur Lohnarbeit – einerseits die Arbeit als (Klassen-) Identität, über die man sich definiert und andererseits in der täglichen Realität die Arbeit als das, was der eigenen Entfaltung entgegensteht zu begreifen – erscheint schizophren, entstammt aber dem kapitalistischen Wesen der Arbeit.
Erstens ist die Lohnarbeit eben nicht nur Arbeit sondern auch Lohn, das heißt die notwendige Grundlage der menschlichen Existenz im Kapitalismus. Die meisten Menschen setzen somit Lohn und Arbeit gleich, abstrahieren also vom kapitalistisch spezifischen Charakter dieser Gleichsetzung und begreifen die Arbeit somit als überhistorischen Kern des Lebens, obwohl die Produktivkraftentwicklung mittlerweile die Voraussetzungen geschaffen hat, die Arbeit auf einen Randbereich des täglichen Lebens zu minimieren. Zweitens ist durch die Zentralität der Lohnarbeit, als einzige Möglichkeit der Mehrwertproduktion für das Bestehen des Kapitalismus, diese auch zu DEM identitätsstiftenden Moment der Arbeiter_innen geworden. Du bist nicht was du isst, sondern was du arbeitest. Der eigentliche Traum jeder/s Arbeiter(s)_in, das Abwesend-Sein von Arbeitszwang, also die Arbeitslosigkeit, ist somit zum Kennzeichen persönlichen Versagens geworden.
Die menschliche Arbeit ist also nicht nur unbedingte materielle Voraussetzung für die Existenz des Kapitalismus, sondern auch ideologisches Disziplinierungsinstrument der Massen. Das linke Lob der Arbeit ist daher nicht nachzuvollziehen. Gerade weil die kapitalistische Entwicklung dazu führt, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit um alle materiellen Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, trotz steigender Weltbevölkerung, von Jahr zu Jahr abnimmt und Elend und Hunger für die gesamte Weltbevölkerung schon längst der Geschichte angehören könnten. Parallel zu dieser Entwicklung nimmt jedoch die Verdichtung von Arbeitszeit rasant zu und immer mehr Menschen leiden unter Burnout und ähnlichem. Es ist also nicht nur unverständlich sondern geradezu grotesk, dass Teile der Linken noch immer dem Arbeitsethos der Facharbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts anhängen und mehr Arbeitsplätze oder „gute“ Arbeit fordern. Jedoch reicht aber die reine aufklärerische Propaganda der „Nicht-Arbeit“ – wie zum Beispiel durch Slogans bei Demos – nicht aus und ist gerade bei sich libertär verstehenden Gruppen und Strömungen mit einer falsch verstandenen Arbeitskritik verbunden. Oft folgt aus einer solchen Arbeitskritik ein völliges Desinteresse am Arbeitsplatz als Kampfplatz. Diese seltsame Trennung zwischen eigener ökonomischer Reproduktion und politischen Betätigungsfeld führt nicht selten zu einer Fixierung auf die eigne Szene, die jedoch für die große Mehrheit der Menschen weltweit keine emanzipatorische Alternative bildet.
Die Produktion und damit die Lohnarbeit ist aber weiterhin nicht nur für den Kapitalismus zentral, sondern bestimmt auch weiterhin das Leben der allermeisten Menschen auf dieser Welt und muss daher ein zentraler Ansatzpunkt jeder emanzipatorischen Bemühung sein. Die Arbeit ist also weder als emanzipatorische Kategorie zu ideologisieren, noch aus der revolutionären Praxis zu streichen. Stattdessen ist es angebracht die meist nur diffus vorhandenen Bedürfnisse der Arbeiter_innen nach weniger Arbeit aufzugreifen und die meist nur vereinzelt und rudimentär vorhandenen Widerstandsformen, wie Krankfeiern, langsamer arbeiten usw. zu kollektivieren und zu versuchen diese zuzuspitzen. Erst wenn wir gegen jeglichen Rentabilitätsgedanken unsere Forderungen setzen, bewegen wir uns außerhalb der Kapitallogik und damit antikapitalistisch und werden gleichsam den Bedürfnissen der Weltarbeiter_innenklasse gerecht. Die zentrale Forderung in allen Verteilungskämpfen muss also lauten: Weniger Arbeit – mehr Lohn!
Eine solche Forderung scheint unrealistisch und widerspricht auch tatsächlich den gesellschaftlichen Bedingungen, sie ist zu einer Zeit wegfallender Verhandlungsspielräume aufgrund fallender Profitraten aber nicht utopischer, als ein Zurückwollen zu den verklärten Verhältnissen vor dem „neoliberalen Kahlschlag“ oder gar die Forderung „faire Arbeit“ im Kapitalismus.
La Banda Vaga, Mai 2014