Die neue Marx-Lektüre des frühen Operaismus. Klassenkampf als Subjekt der Geschichte
Vortrag und Diskussion mit Christian Frings
Donnerstag 27.11.2014
KG 1, Raum 1108 19:30 Uhr
Obwohl der italienische Operaismus einer der bedeutendsten Strömungen der Neuen Linken war und durch seinen starken Einfluss in den 1970er und 80er Jahren heute noch eine der Wurzeln der linksradikalen Bewegung in der BRD darstellt, ist er weitgehend in Vergessenheit geraten. Heutzutage ist er nur noch in der Form des sogenannten Post-Operaismus à la Negri und Hardt bekannt. Diese, an der Uni, wie beim globalisierungskritischen Gipfelsturm angesagte Theorie hat aber kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Operaismus zu tun.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der Marxismus an verschiedenen Punkten in die Krise: Die kapitalistische Technologie hatte in Krieg und Massenmord ihre zerstörerische Produktivität zur Schau gestellt, und mit den Arbeiteraufständen in Ostdeutschland, Ungarn und Polen 1953/1956 konnte sich die „Sowjetmacht“ nicht mehr als Repräsentation der Arbeiterinteressen darstellen. Einer der interessantesten Versuche, sich Marx’ Kritik der politischen Ökonomie auf neue Weise anzueignen und für radikale Arbeiterpolitik fruchtbar zu machen, ging von einer dissidenten Strömung in Italien aus. Die Gruppe um die ab 1961 erscheinenden «Quaderni Rossi» und deren Wortführer Raniero Panzieri verband ihre akribische Neulektüre des «Kapital» mit einer kritischen Rezeption der Industriesoziologie und eigenen Untersuchungen in der Fabrik. Sie legten die fundamentale Kritik von Marx am despotischen Charakter der kapitalistischen Arbeitsorganisation wieder frei, die nach Marx vergessen und durch eine produktivistische Verherrlichung der Rationalität ersetzt worden war. Und sie arbeiteten die revolutionäre Bedeutung des von Marx systematisch entwickelten Begriffs des «kombinierten Gesamtarbeiters» heraus, die sie zur Formulierung einer «strategischen Umkehr» (Mario Tronti) im Verhältnis von Arbeiterklasse und Kapital brachte.
Nicht zuletzt die massiven Kämpfe der ArbeiterInnen des politischen Südens, aktuell u. a. in China und Bangladesch, zeigen, dass diese „kopernikanische Wende“, die der Operaismus in seiner Marx-Lektüre vollzog, trotz enormer Veränderungen des kapitalistischen Systems noch, wenn nicht gerade heute wieder von höchster Aktualität ist.
La Banda Vaga, November 2014