Die Zerstörung der Vernunft - Zur Esoterik- und Religionskritik
»Unmittelbar gesehen ist der okkulte Spuk gewiss nur Fascisierung des Bürgertums, übergang seines unbrauchbar gewordenen Liberalismus ins autoritäre und irrationale Lager.«
Ernst Bloch
Auch in der Folge des 11. Septembers wurde illustriert, wie weit irrationales Denken in der bürgerlichen Gesellschaft verbreitet ist. Religion (und vor allem die Beschäftigung mit dem Islam) hatte Konjunktur, Nostradamus Bücher waren ausverkauft und die esoterische Szene bastelte sich Verschwörungstheorien zu recht. In der Überzeugung, ausschließlich das Bewusstsein bestimme das Sein, wendet sich die Esoterik von emanzipatorischen Bewegungen der 1960er Jahre ab und setzt rein auf individuelle Bewusstseinsveränderung als Voraussetzung für gesellschaftlichen Wandel. Auch erschreckend viele ehemalige Linke haben ihren Weg zum Irrationalen gefunden. Horoskope, Tarotkarten, Heilsteine, Erdstrahlen, Mondgläubigkeit, Urintherapie ... Nach vorsichtigen Schätzungen sind in der BRD zehn Millionen Menschen der Esoterik aktiv zugeneigt, der Umsatz der bundesdeutschen Esoterikindustrie beläuft sich auf über 10 Milliarden Euro. Gerade Freiburg ist als "Esoterikhauptstadt" bekannt.
Doch wie kann heute noch ein derartiges Bedürfnis nach irrationalen Denkformen entstehen? Diese Gesellschaft, die mit der Spaltung der Menschheit in Ausbeuter und Ausgebeutete, Herrscher und Beherrschte an sich irrational ist, produziert eine Sicht, die voller Verkehrungen ist. So wird das gesellschaftliche Verhältnis statt dessen als Verhältnis der Dinge wahrgenommen. Die Sicht auf die Warenwelt ist zwangsläufig eine ideologische. Die bürgerliche Wissenschaft als Legitimationswissenschaft des Kapitalismus ist nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Widersprüche, die sie als Naturgesetze wahrnimmt, aufzuheben. Deshalb droht stets der übergang in den Irrationalismus. Reicht dem sozial verunsicherten Bürgertum die "Religion des Alltagslebens" nicht aus, sucht sie Halt in den Versprechungen der Esoterik und befördert damit die zunehmende Entsolidarisierung in der Gesellschaft.
Ein in der Esoterik weit verbreiteter Glaube ist das, aus den asiatischen Religionen übernommene, Karma. Demnach werden Menschen bis zur "Erlösung" immer "wiedergeboren" und sollten durch "gute Taten" versuchen, ihre Stellung im nächsten Leben zu bestimmen. Diese Lehre führt schnell zur Vorstellung, dass zum Beispiel behinderte oder in Armut lebende Menschen daran selbst Schuld seien, weil sie ihr "früheres Leben" falsch gelebt haben sollen. Alice Ann Bailey, eine Anhängerin Rudolf Steiners, rechtfertigte damit sogar die Ermordung von 6 Millionen Juden im Nationalsozialismus als "Feuer der Reinigung".[2] Die 170 (Tendenz steigend) Waldorfschulen, die sich leider auch in der Linken ob ihres scheinbar alternativen Charakters großer Beliebtheit erfreuen, werden z.T. auch staatlich unterstützt. Auch die Freiburger Linke Liste willigte Gelder zu. Der Schulalltag in diesen weitgehend ausländerfreien Privatschulen gibt hingegen ein antiemanzipatorisches Bild. Im Kern autoritär, mit stupidem Auswendiglernen, Aufsagen im Chor, Frontalunterricht, sozialer Kontrolle, Fußballverbot (weil dies kein deutscher Sport sei) und Diskriminierung. Noch heute hat die Wurzelrassenlehre im Geschichtsunterricht der Waldorfschulen einen festen Bestandteil. Deren rassistischer [3] Gehalt wird unter anderem durch folgende Zitate Steiners, dem Begründer der Anthroposophie, deutlich: "Das Judentum hat sich längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten."[4] Und: "die Negerrasse gehört nicht zu Europa. [...] Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geist schaffende Rasse."[5] Diese Wurzelrassentheorie wurde von Steiner direkt von Helena Blavatzky (1831 - 1891), der Begründerin der Theosophie, übernommen. Diese Geheimlehre ging in das Gedankengut der Thulegesellschaft, einer Vorgängerorganisation der NSDAP, ein. Blavatzkys Werke sind heute Bestseller in Esoterikbuchläden. Ein Förderer der Neuherausgabe ihrer Bücher ist unter anderen der Dalai Lama. Tatsächlich pflegt dieser gefeierte "Gottkönig" Kontakte zu Altnazis und religiösfanatischen Terroristen. So bezeichnet er den Führer der Aum-Sekte, Shoko Asahara, als seinen Freund .[6]
Dem Esoteriker ist nicht mit rationalen Argumenten beizukommen. Gegebenenfalls wird der Kritiker auf seine "zu niedrige Bewusstseinsstufe" oder ähnliches verwiesen. Dieses Verhalten gleicht dem von der Kritischen Theorie beschriebenen autoritären Charakter. Erich Fromm könnte auch einen Esoteriker gemeint haben, als er schrieb: " Die relative Undurchschaubarkeit des gesellschaftlichen und damit des individuellen Lebens schafft eine schier hoffnungslose Abhängigkeit, an die sich das Individuum anpasst, in dem es eine sadomasochistische Charakterstruktur entwickelt. [...] Der masochistische Charakter erlebt sein Verhältnis zur Welt unter dem Gesichtspunkt des unentrinnbaren Schicksals."[7] Im Zuge allgemeiner Krisenerscheinungen versucht das bürgerliche Subjekt verstärkt, sich die verkehrte Welt irrational zu erklären. Der Boom der Esoterik erinnert an die Krisen der späten 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, als der Mystizismus zu einem der geistigen Vorreiter des Nationalsozialismus wurde. So verwundert es auch nicht, dass es noch heute ideologische und personelle Verbindungen zwischen Esoterik und Rechtsradikalen gibt.
Nur durch das radikale Brechen mit der bürgerlichen Ideologie ist eine Annäherung an die Vernunft zu haben!
"Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist."
Marx [8]
Veranstaltungen zur Esoterik- und Religionskritik
13.6.2002 Ludwig Feuerbach: "Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde" 20:00 KTS Referent: Dipl.-Soz. Päd. Heribert Sommer, Coburg, Redaktion Marxistische Kritik ( OKF Süd ) Die Kritik der Religion ist bis heute nicht zu gesellschaftlicher Bedeutung gelangt. Sie hat keinen Eingang in das Bildungssystem gefunden und wird von der bürgerlichen Wissenschaft ignoriert. Insofern befindet sich die Menschheit materiell zwar im Kapitalismus, ideell aber noch immer im Stadium des geistigen Mittelalters - entsprechend eines Satzes von Ludwig Feuerbach, der schrieb: "Das Christentum ist das Mittelalter der Menschheit". Die Religionskritik des Philosophen Ludwig Feuerbach war in Deutschland im 19. Jahrhundert ein zentrales Moment der Aufklärung. Sie beeinflußte viele bedeutende Denker dieser Zeit, darunter auch Karl Marx. In diesem Vortrag geht es u.a. darum, das anthropologische Wesen der christlichen Gottesvorstellung aufzuzeigen. Die menschliche Vorstellung von der Gottheit gipfelt in der Person Jesus Christus. Es ging Feuerbach nicht vordringlich darum, die Gottheit zu leugnen, sondern diese Vorstellung in all ihren Ausprägungen als menschlich und nicht fremd zu erklären.
16.6.2002 Esoterik und Irrationalismus 20:00 KTS Vier ReferentInnen der Redaktion des Streitblatts (München) "Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik," schrieb Karl Marx 1844. 158 Jahre später ist das religiöse Bewußtsein verbreiteter denn je - nur nennt es sich anders: Spiritualität und Esoterik geben dem "anderen" Rechnung, was es da angeblich noch gäbe. Seit zwei Jahrhunderten ist die Religion widerlegt; die prolongierte theoretische Widerlegung der Religion macht sich darum der Unwahrheit schuldig, das Volk in seiner kapitalistischen Vergesellschaftung sei aufzuklären. Das religiöse Bewußtsein ist die Projektion der menschlichen Bedürfnisse ins Jenseits und die Negation der Kritik am Diesseits. Je länger das religiöse Bewußtsein über seine theoretische Aufhebung fortdauert, desto mehr widerstreitet es theoretisch jedem richtigen Urteil und praktisch jedem Versuch, unmenschliche Verhältnisse umzuwerfen. Diese Verhältnisse sind der Feind, der nicht zu widerlegen, sondern zu vernichten ist. Widerlegt wird die esoterische Ideotie nicht durch seine Widerlegung, sondern indem man die Verhältnisse der Ausbeutung von Menschen durch Menschen abschafft, die es nötig macht. Oder, wie Marx an andrer Stelle geschrieben hat: "Friede den teutonischen Urwäldern! Krieg den deutschen Zuständen!"
La Banda Vaga, 2002
Fussnoten:
[1] Zitiert nach: Peter Bierl, in: Stud. Sprecherrat der Universität München (Hrsg.), Ganzheitlich und ohne Sorgen in die Republik von morgen, Aschaffenburg 2001, S. 62.
[2] Zitiert nach: Jutta Ditfurth, Feuer in die Herzen, Hamburg 1997, S. 330.
[3] Natürlich ist jede Einteilung der Menschen in Rassen an sich schon rassistisch.
[4] Rudolf Steiner 1888, zitiert nach Bierl, 2001, S. 39.
[5] Rudolf Steiner, GA 349, S. 52 ff. Dieser Text strotzt nur so von Rassismus und stellt zugleich eine Steilvorlage für die deutsche Großmachtspolitik dar.
[6] Vgl.: Colin Goldner, Dalai Lama, Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg 1999. Die Aum-Sekte verübte 1995 einen Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn, bei dem 12 Menschen ermordet und 500 z.T. schwer verletzt wurden.
[7] Erich Fromm, Sozialpsychologischer Teil, in: Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Studien über Autorität und Familie, Paris 1936, S. 118.
[8] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosopie, Einleitung, MEW 1.