Leben für den totalen Markt?
Gegen Leiharbeit und die fortschreitende Verschlechterung unserer Lebensbedingungen
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind die ersten Opfer der Wirtschaftskrise. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft sind seit Ende des vergangenen Jahres bis zu 150.000 von ihnen entlassen worden. Damit endete der jahrelange Boom der Leih- bzw. Zeitarbeit, der im Juni 2008 mit 794.363 bei den Arbeitsagenturen gemeldeten LeiharbeiterInnen den Höhepunkt erreicht hatte. Für die Unternehmen war genau das der Sinn der Leiharbeit: In Zeiten des Aufschwungs wird die „Flexibilität“ der Lohnabhängigen genutzt, um billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen; in Zeiten des Abschwungs dient sie dazu, diese Arbeitskräfte möglichst problemlos wieder entlassen zu können, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
Mit der Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse im Zuge von Leiharbeit und anderer Angriffe auf den Lebensstandard der Beschäftigten in den letzten Jahren wurde zunehmend zum frühkapitalistischen System von „Heuern und Feuern“ zurückgekehrt. Gerade in der aktuellen Weltwirtschaftskrise erweist sich die Institution Leiharbeit als außerordentlich nützlich für die Unternehmen. Aber von Anfang an diente sie dazu, die sozialen Errungenschaften, Sicherheiten und Tarifverträge der Beschäftigten auszuhöhlen und aufzuweichen; diese Aufgabe hat die Leiharbeit in großem Umfang erfüllt.
Für die Beschäftigten bedeutet Leiharbeit eine nahezu völlige Abhängigkeit von den Schwankungen des Marktes. Die Leiharbeitsfirma „Manpower“, die auch in Freiburg eine Filiale hat, spricht das ganz offen aus, wenn sie auf ihrer Homepage davon schreibt, dass es für Leiharbeiter vor allem darum gehe, mit „den Anforderungen des Marktes jederzeit Schritt [zu] halten.“ Der Mensch, reduziert auf die Verwertungsbedürfnisse des kapitalistischen Marktes, soll seine Existenz „jederzeit“, das heißt einzig und allein, zum Nutzen der Unternehmen führen, die von seiner Ausbeutung profitieren. Die zynische, menschenverachtende Marktlogik wird in diesem Zitat auch durch den verharmlosenden Managementjargon, an den wir uns durch die bürgerlichen Medien schon fast gewöhnt haben, nur notdürftig verdeckt.
Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat in Deutschland besonders die rot-grüne Regierung forciert. Hierfür steht unter anderem die sogenannte Agenda 2010 und das darin enthaltene „Arbeitnehmerüberlassungsgesetz“, mit dem die Gesetzgebung zur Leiharbeit liberalisiert wurde. Aber auch die Gewerkschaften haben ihren Segen für diese „Überausbeutungsverhältnisse“ gegeben, indem sie Tarifverträge in der Leiharbeitsbranche abschlossen und damit diese flächendeckenden Lohnsenkungen grundsätzlich anerkannten. Wenn Sozialdemokratie und Gewerkschaften heute die Massenentlassungen von LeiharbeiterInnen beklagen, dann beklagen sie nur die Auswirkungen der von ihnen selbst geförderten Entwicklung. Jetzt, in der Wirtschaftskrise, zeigt sich, wie fatal es war, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter die Angriffe der letzten Jahre nicht erfolgreich abwehren konnten. Auf dem Boden des deregulierten Arbeitsmarkts werden Beschäftigte noch stärker ausgebeutet als vorher und müssen sich immer schlechteren Arbeitsbedingungen anpassen, um nicht ganz arbeitslos zu werden.
Leiharbeit ist allerdings nur ein Beispiel für die seit Jahren immer weiter voranschreitende Prekarisierung unserer Lebensverhältnisse. Während auf der einen Seite unsere Arbeitsverhältnisse immer unsicherer werden, etwa durch befristete Verträge, Mini- oder Midi-Jobs, ausufernde, oft unbezahlte Praktika und ähnlichem, werden gleichzeitig die sozialen Absicherungen immer weiter abgebaut. Die staatliche Rente reicht nur noch für eine Basissicherung auf Sozialhilfeniveau, wenn wir nicht „privat vorsorgen“. Die Arbeitslosenversicherung führt nach einem Jahr direkt zu den verarmenden ALG-II-Sätzen. Die Unis verlangen jedes Semester Studiengebühren, und auch in der Gesundheitsversorgung werden Leistungen immer weiter abgebaut. Der Gang zum Zahnarzt kann heute schon ruinöse Folgen haben.
Aber warum werden unsere Lebensbedingungen immer schlechter, wenn auf der anderen Seite die Gesellschaft immer mehr Güter in immer kürzerer Zeit produzieren kann? Warum wird nicht für unsere Bedürfnisse produziert, damit alle ein gutes Leben haben können? Die Ursache dieses Missstands liegt in der Logik der kapitalistischen Gesellschaft begründet. Der Konkurrenzkampf zwingt die Unternehmen dazu, die Ausbeutung immer weiter zu verschärfen, um auf dem Rücken der Beschäftigten die Profite stabil zu halten. In Zeiten der Krise wird dieser Zwang noch einmal massiv verstärkt. In einer Gesellschaft, in der sich alles nur um die Verwertung des Kapitals dreht und ökonomische Effizienz das wichtigste Prinzip überhaupt ist, ist das Gedeihen der Kapitalverwertung wichtiger als die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen. Darin sind sich von den politischen Parteien über die Medien bis hin zur Justiz so gut wie alle sozialen Kräfte und Institutionen einig. Sogar die scheinbaren Kritiker des Systems, die reformistischen Linken und die Gewerkschaften, stützen das System, solange sie die Grundprinzipien des kapitalistischen Regimes nicht in Frage stellen. Wer sich auf die Logik des Kapitalismus einlässt, lässt sich immer schon auf eine Logik der Ausbeutung, der Entfremdung, der Unterdrückung und der politischen Entmündigung ein. Auch der Staat, von dem sich viele jetzt die Rettung der kapitalistischen Wirtschaft erhoffen, ist ein fester Bestandteil dieser Logik.
Die einzigen gesellschaftlichen Kräfte, die eine Alternative zu den neoliberalen Deregulierungen einerseits und den halbherzigen Reformen der Staatslinken andererseits darstellen, sind die Opfer der Verhältnisse selbst, also wir alle. Niemand kann uns die Aufgabe abnehmen, diese Verhältnisse endlich zu überwinden. Keine Stellvertreterinstitution, kein Staat, keine Partei und keine Gewerkschaft kann das für uns erledigen. Und selbst da, wo es zunächst einmal nur darum geht, konkrete Angriffe auf unseren Lebensstandard abzuwehren, sind wir selbst die einzigen, auf die wir uns verlassen können. Nicht einmal für die kleinsten Reformen ist der Reformismus brauchbar. Denn auch wenn er manchmal kleine Erfolge erzielt, kann er diese Erfolge aufgrund seiner Einbindung ins System im Zweifelsfall doch nicht dauerhaft verteidigen. Sobald er sich nämlich auf die Regeln der bürgerlichen Gesellschaft, auf Parlamentarismus, Lobbyismus und die Anerkennung durch das System einlässt, muss auch er sich den Grundregeln der Gesellschaft, dem Kapitalprinzip, unterwerfen. In der Krise bedeutet das zwangsläufig, dass zuallererst das bedrohte Kapital gerettet werden muss, bevor man die kleinen Leute rettet, deren Bedürfnisse in der Krisensituation doch nicht ganz so wichtig sind. Wer das System nicht abschaffen will, kann es nur noch verwalten.
Wir können diese Verhältnisse nur dann überwinden, wenn wir unsere Stimme nicht abgeben, sondern selber aktiv werden. Während Leiharbeit als extreme Form kapitalistischer Lohnarbeit uns als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt gegeneinander ausspielt und voneinander isoliert, sollte es stattdessen darum gehen, uns solidarisch zusammenzuschließen und gemeinsam gegen die Angriffe auf unseren Lebensstandard und für die Verbesserung unserer Existenz zu kämpfen. Und weil unsere Existenz innerhalb des kapitalistischen Systems grundsätzlich nicht unseren Bedürfnissen nach Freiheit, Selbstbestimmung und Solidarität entsprechen kann, bedeutet der Kampf um bessere Lebensbedingungen am Ende immer auch den Kampf gegen die Bedingungen des Kapitalismus selbst.
La Banda Vaga, März 2009