30 Semester Minimum - Für Deutschland keinen Finger krumm!
Und mal wieder protestieren die Studis...
Und das ist ja auch erstmal gut, denn Proteste, Demos und Streiks bieten die Möglichkeit, die scheinbar widerspruchslose Oberfläche der Gesellschaft aufzubrechen und den ewig gleichen stupiden Alltag zu stören. Aber es fragt sich doch, warum die regelmäßig wiederkehrenden Proteste der Studierenden so wirkungslos bleiben und sie von PolitikerInnen aller Parteien sogar dann noch begrüßt werden, wenn diese im gleichen Atemzug die Einführung von Studiengebühren, Eliteuniversitäten und Ähnlichem fordern.
Das liegt zum einen sicher an den nur auf Medienwirksamkeit ausgelegten, harmlosen Formen der Proteste. Denn wenn zum hundertsten Mal die Bildung zu Grabe getragen wird, die Bildung baden geht oder Vorlesungen in der Öffentlichkeit abgehalten werden, stört das die EntscheidungsträgerInnen furchtbar wenig.
Zum anderen aber liegt es vor allem an den Inhalten, die vertreten werden und die sich von denen der oben erwähnten PolitikerInnen kaum unterscheiden. Natürlich ist es richtig gegen die Einführung von Studiengebühren oder überfüllte Seminarräume und Hörsäle zu protestieren. Aber wenn der Protest dabei stehen bleibt, die individuellen Studienbedingungen verbessern zu wollen, ohne dabei die gesellschaftliche Funktion der Universität zu kritisieren, bleibt er elitär.
Denn die Zeiten als die Universität einen gewissen Freiraum bot, die die Zeit in der jede/r gezwungen wird seine Arbeitskraft zu veräußern noch etwas raus schiebt und in der mensch sich ungezwungen mit Themen beschäftigen konnte, die einen interessierten und die auch keinen positiven Nutzen für diese Gesellschaft erbringen mussten, sind lange vorbei (wenn es sie denn überhaupt jemals gegeben hat). Inzwischen sind die Unis längst ordinäre Ausbildungsorte wie die Autowerkstatt oder der Friseursalon, allerdings mit dem Unterschied, dass an der Uni keine Ausbildungsvergütung bezahlt wird, die Studis sich aber trotzdem als privilegiert ansehen, da sie hoffen, in der Zukunft bessere Berufe zu erreichen als Kfz-MechanikerIn oder Friseuse/Friseur.
Das anachronistische humboldtsche Gehabe der Studierenden und v. a. der DozentInnen ist dagegen seit Jahrzehnten reine Ideologie. Bereits 1966 schrieb die Situationistische Internationale darüber:
„Die Fakultäten und Schulen, die noch mit vorzeitlichem Prestige dekoriert sind, sind von Akademien zur ‚Allgemeinbildung‘ zum Nutzen der herrschenden Klasse zu Produktionsstätten zur hastigen Aufzucht von Führungskräften unteren und mittleren Ranges geworden.“
Während dies aber Mitte und Ende der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von den protestierenden StudentInnen noch kritisiert wurde, beschränkt sich heute die Kritik darauf, doch bitte schön solche Studienbedingungen zu schaffen, dass mensch sein Studium in schnellst möglicher Zeit beenden kann, um dann seine Arbeitskraft scheinbar privilegiert zu Markte tragen zu können.
Zugespitzt und endgültig unerträglich wird diese Position dann, wenn erklärt wird, dass "unser Land" keine anderen Rohstoffe hätte als sein Humankapital und deshalb die verstärkte Förderung der Bildung auch im Interesse der angerufenen PolitikerInnen sei. Dann wird, ganz abgesehen davon dass sich dadurch die Protestierenden selbst verdinglichen, der scheinbar kritische Protest endgültig zum Standortnationalismus. Dieser Affirmation der bestehenden widersinnigen Verhältnisse setzten wir die Forderung nach Abschaffung entgegen. Abschaffung der Verhältnisse, in der Menschen gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen und sich nur in Warenkategorien begegnen können. Konkret bedeutet dies die Abschaffung der Universität, der Arbeit, des Kapitals, des Staates...
Für die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!
Für den Kommunismus! Für die Anarchie!
ps.
Im Mai 2005 machten wir eine Diskussionsveranstaltung zur gesellschaftliche Rolle der Studierenden im Kapitalismus und zur Analyse der Form der vergangenen Studiproteste. Den Vortragstext haben wir zusammen mit einem Vorwort, einem Flugblatt von GewerbeschülerInnen zum Studistreik 1997 und diesem Flugblatt als Broschüre herausgegeben und kann hier gelesen bzw. heruntergeladen werden.