Repression als Krisenlösung - Überlegungen zur Polizeigewalt gegen das DIY-Festival in Freiburg 2006
11.08.2006
Unsere Genossen von der «Fédération Anarchiste» aus Strasbourg haben diesen Text ins Französische übersetzt. Merci beaucoup !
Freiburg steht im Ruf, eine alternative und tolerante Stadt zu sein. Dies wird meistens an der durch die Anti-Atomkraft-Bewegung und durch Häuserkämpfe geprägten Geschichte der Stadt sowie am derzeitigen grünen Oberbürgermeister festgemacht. Die Besucher des anarchistischen „Do it yourself — Against the State“-Festivals (DIY), das vom 27. bis zum 30. Juli in Freiburg stattfand, werden diese Stadt jedoch mit einem etwas anderen Eindruck verlassen haben.
Zunächst verlief die „Anarchist Convention“ produktiv und friedlich. Am Abend des 27. Juli spielten einige Punk und Hardcore Bands in der KTS, dem Autonomen Zentrum Freiburgs. Zur gleichen Zeit wurde in der Nähe ein mutmaßlicher Graffiti-Sprayer festgenommen. Als es beim Versuch einiger KonzertbesucherInnen, den Festgenommenen aus dem Polizeiwagen zu befreien, zu Rangeleien kam, wurde ein Polizist (vermutlich durch einen Flaschenwurf) schwer am Auge verletzt. Dieser unglückliche Vorfall diente fortan zur allumfassenden Begründung für die massiven Repressionen, denen sich das Festival und die gesamte Freiburger Linke in den nächsten Tage ausgesetzt sah.
Zwei Stunden später umstellte ein Großaufgebot der Polizei die KTS und riegelte das gesamte Gelände ab. Bereits am nächsten Tag wurde das Camp der auswärtigen FestivalbesucherInnen geräumt, und alle Anwesenden, die nicht aus Freiburg stammten, erhielten Stadtverweise. Am darauffolgenden Tag, dem 29. Juli, sollte eine bereits länger geplante „Reclaim the Streets“-Demonstration stattfinden, die sich nun zum Machtkampf zwischen Polizei und linker Szene entwickelte. Zunächst sah es nach einer überlegenen Situation für die etwa 400 über die Stadt hinweg verteilten DemonstrantInnen aus, die mit zahlreichen kreativen, aber durchweg friedlichen Aktionen sowie insbesondere dank eines mit Klobürsten ausgerüsteten Pink-Silver-Blocks und einer strategisch gekonnt agierenden Clown-Army die Demonstration gegen den Willen der Polizei durchsetzte. Diese machte sich bei einer verdutzten Bevölkerung durch den Einsatz von Sturm-Masken, martialischer schwarzer Ganzkörpermontur, Kabelbindern als Fesseln sowie allgemein einem sehr aggressiven Auftreten zunehmend unbeliebt. Insbesondere die Clowns wurden zur Zielscheibe der Polizeigewalt, wurden immer wieder aus der Menge herausgezogen, auf den Boden geworfen und, gegen den oftmals lautstarken Protest von PassantInnen, mit Plastik-Kabelbindern gefesselt — die sich bei jeder Bewegung immer fester zuziehen und nicht unbedeutende gesundheitliche Schäden hinterlassen können.
Schließlich gelang es der Polizei, einen Großteil der DemonstrantInnen einzukesseln. Nach stundenlangem Ausharren in der Sonne begann die Polizei dann, einzelne DemonstrantInnen mit Gewalt aus dem Kessel zu ziehen und festzunehmen oder zur Feststellung von Personalien abzuführen. Gegen die zu jeder Zeit friedlichen DemonstrantInnen kamen dabei auch Schlagstöcke zum Einsatz, mit denen auf die Köpfe und Gesichter der Sitzenden eingeschlagen wurden. Bilder einer Polizeigewalt, die man in Freiburg so seit Jahren nicht mehr sehen konnte. Entsprechend groß war die Empörung der Öffentlichkeit in den nächsten Tagen. Die Badische Zeitung erwähnte zahlreiche kritische Augenzeugenberichte, die bei ihr eingingen. Die Berichterstattung in den Lokalzeitungen selbst war gemischt (unter anderem mit Hinweis auf den verletzten Polizisten), jedoch tendenziell kritisch gegenüber der Unverhältnismäßigkeit des überdimensionierten Polizeieinsatzes sowie gegenüber dem Verlassen der „Freiburger Linie“ durch die Polizei, welche lange Zeit für ihre Deeskalationstaktik bekannt war. Erst in den letzten zwei Jahren zeichnete sich langsam aber spürbar ein Abrücken von dieser Taktik ab — ein Prozess, der bei der RTS-Demo seinen vorläufigen Höhepunkt fand.
Dass die neue Taktik der Konfrontation nicht aus der Charakterstruktur des neuen Polizeichefs Heiner Amann erklärbar ist, zeigt ein Blick auf ähnliche Entwicklungen in ganz Baden-Württemberg, in ganz Deutschland sowie in den westlichen Ländern überhaupt. Überall werden Autonome Zentren geschlossen, linke Freiräume eingeebnet, wird zunehmend mit Gewalt und Repression, bisweilen sogar mit der Verhängung des Ausnahmezustands wie bei den Banlieue-Aufständen in Frankreich, gegen Protestierende vorgegangen. Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Strafanzeigen gegen die Verwendung durchgestrichener Hakenkreuze auf Antifa-Flugblättern stehen neuerdings weit oben auf der Prioritätenliste des Staatsschutzes. Der Kapitalismus, so scheint es, ist neuerdings noch weniger als sonst zu Scherzen aufgelegt, wenn es um seine GegnerInnen geht.
Von dieser Entwicklung ist freilich nicht nur die Linke betroffen: Anti-Terror-Gesetze, Videoüberwachung von Innenstädten, biometrische Pässe, Massen-Gentests und zahlreiche andere Maßnahmen treffen die gesamte Bevölkerung. Ein Beispiel aus Großbritannien ist das sogenannte ASBO („Anti-Social Behaviour Order“). Mit diesem Gesetz versucht die britische Regierung, gegen „asoziales“ Verhalten vorzugehen — wobei asozial schon ist, wer abends genug Lärm macht. Und nicht nur die Gefährlichen, auch die Faulen werden bekämpft. In Deutschland werden Arbeitslose durch 1-Euro-Jobs de facto zu Zwangsarbeit gezwungen; überhaupt nehmen Schikanen aller Art gegen Arbeitslose seit Jahren unvermindert zu.
Diese zunehmende Disziplinierung und Repression der Bevölkerung kann nur verstanden werden, wenn sie als Teil einer staatlichen Lösung für ein bestimmtes Problem erkannt wird. Repression und Disziplinierung sind bekanntlich nicht notwendig gegenüber einer Bevölkerung, die nicht aufbegehrt oder aufzubegehren vorhat. Hat der Staat also Angst vor Aufständen? Undenkbar ist das, blickt man auf die jüngsten Ereignisse in Frankreich, ganz sicher nicht — auch hierzulande. Womöglich sind die scharfen Arbeitskämpfe und Streiks des letzten Jahres tatsächlich die Vorboten einer kommenden Unzufriedenheit der Menschen mit einem System, das ihre alltäglichen Lebensbedürfnisse immer weniger zu sichern vermag; mit einem System, das sie ökonomisch und sozial marginalisiert und unter anderem zur Zwangsarbeit zwingt. Keine schlechte Idee scheint es da, bereits im Vorfeld die Handlungsspielräume des Staates möglichst weit auszudehnen.
Aber das Problem reicht noch tiefer. Denn auch ohne manifeste Aufstände wie in Frankreich ist der europäische Alltag von den Erscheinungen einer gesellschaftlichen Krise geprägt. Die Massenarbeitslosigkeit will und will nicht abnehmen, die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, und immer mehr Menschen sind von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben dauerhaft ausgeschlossen — MigrantInnen, Flüchtlinge und Illegale ebenso wie die einheimische Unterschicht, die zunehmend größer wird. Wer aber vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist, wer Schwarzarbeit verrichtet, sich nicht um Leitkultur und Gesetze schert, wer Fußgängerzonen und Einkaufspassagen mit der Zurschaustellung seiner Armut „verunreinigt“ und dadurch das Geschäft stört, und wer womöglich gar, wie Teile der Linken, ein Leben jenseits des Kommerzes und geordneter Mietverhältnisse zu führen versucht — der oder die ist nicht gerade ein Beitrag zum Wirtschaftsaufschwung. Ganz abgesehen davon, dass die Zunahme non-konformer Lebenspraxen immer auch gesellschaftlichen Sprengstoff darstellt, der die Integration der Bevölkerung in das kapitalistische System gefährdet und soziale Spaltungen provozieren kann.
So stellt die Repressions- und Disziplinierungswut des Staates zuletzt wohl auch einen Versuch dar, den reibungslosen Ablaufs des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs mit Gewalt zu gewährleisten, wo er anders nicht mehr gewährleistet werden kann. Anders als mit Zwang, Unterdrückung und Gewalt kann die kapitalistische Gesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts wohl nicht mehr zusammengehalten werden. Durch ihre eigene Verwertungslogik wird sie — Marx lässt grüßen — zugleich ihrem eigenen Zusammenbruch entgegen getrieben. Ökonomische Ausbeutung, Kaufkraft der Bevölkerung und soziale Stabilität passen eben auf Dauer und bei Abwesenheit wirtschaftlichen Wachstums nicht gut zusammen.
Es liegt auf der Hand, dass die Folgen dieser sozialen Desintegration für das Bewusstsein der Menschen — das durch staatliche Repression ja durchaus noch gefördert werden kann — auch eine Chance sind für die Ideen der Revolution und einer Gesellschaft jenseits von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung. Dass wir die Repression, das heißt den staatlichen Kampf gegen die Möglichkeit revolutionärer Arbeit und gesellschaftlicher Freiräume, deshalb nicht ohnmächtig hinnehmen dürfen, liegt ebenfalls auf der Hand. Wie heißt es bei Tocotronic so schön: „Das Unglück muss zurückgeschlagen werden.“
La Banda Vaga