Total Klasse
Dieser Beitrag erschien in der Disko "Was tun?" der Jungle World (Nr. 28, 2. Juli 2003).
Der Vorteil der "neuen Linken" war und ist sicherlich die Inschutznahme des Individuums und des Genusses vor dem Getöse jeglicher Zwangskollektive. Aus der Tradition der Arbeiterbewegung bietet sich der Begriff der "Klasse" als emanzipatorisches Kollektiv an. Nur ist der Bezug auf dererlei Kategorien mittlerweile , wenn auch nicht falsch, zumindest aber strategisch ungeschickt. Zu groß wäre die Gefahr, in alte und überwundene Raster zurückzufallen.
Stattdessen könnte man das Individuum bzw. seine Konfrontation mit dem totalitären Alltag zum Initiationspunkt des Kampfes machen. Max Horkheimer schrieb 1940 in "Autoritärer Staat": "Mit der Erfahrung, dass ihr politischer Wille durch die Veränderung der Gesellschaft wirklich ihr eigenes Dasein verändert, wird die Apathie der Massen verschwunden sein."
Konkret hieße das, dass jeder sein direktes Umfeld nach Zwängen durchsucht, die ja meist schon verinnerlicht sind, und gegen diese aufbegehrt, anstatt dann und wann gönnerhaft mit der IG Metall mitzulatschen. Der Umsturz der Verhältnisse ist mehr als eine Soliaktion.
Würde jeder Linke sein Geschäft gewissenhaft betreiben, wäre jeder Tag an der Uni, jeder Gang zum Arbeitsamt, jedes Vegetieren im Job und jede andere Erniedrigung und Widerwärtigkeit, zu denen auch die Agenda 2010 gehört, ein Eroberungsplatz der Freiheit.
Im Laufe dieses Kampfes ergäben sich auch Strukturen, welche am Ziel orientiert und deshalb umso effektiver wären. Die historische Antwort ist das alte, aber umso modernere Konzept der Rätebewegung, deren Gedanken es wiederzubeleben gilt und welche sich schon am Anfang des vorigen Jahrhunderts für das Individuum schlug.
Der Kampf kann aber nur antiautoritär, d.h. nur gegen den Staat und die ihn konstituierenden Organisationen wie Parteien oder Gewerkschaften geführt werden, um zu einem Zustand zu kommen, "worin sich die Bewegung und die Auflösung der ganzen Scheiße auflöst". (Marx-Engels-Werke 32, S. 75)
La Banda Vaga, 2003